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Denkschrift zur Koerperschaft des Oeffentlichen Rechts fuer islamische Religionsgemeinschaften
Unter den Muslimen in Deutschland gibt es nicht wenige, die das Heil ihrer Gemeinschaft in der Anerkennung des Islam als Koerperschaft des Oeffentlichen Rechts sehen. Unterdessen versuchen schon einige islamische Vereine die Voraussetzung dafuer zu schaffen, in dem sie versuchen, die islamische Religion mit einer ihr wesensfremden Kirchenstruktur zu veraendern. Da gibt es unter anderem schon der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) nachempfundene phantasievolle Amtsbezeichnungen und vorweggenommenes amtliches Gebaren. In einer der grossen Dachorganisation einigte man sich auf ein sehr interessantes Modell, naemlich das Modell der Reformierten Kirche. Ein anderer Verein uebertrug schlicht seine Verbandstruktur in eine Kirchenstruktur.
Die Kirchenstruktur ist naemlich unausgesprochen eine Voraussetzung fuer die Anerkennung einer islamischen Religionsgemeinschaft als sogenannter Koerperschaft des Oeffentlichen Rechts, mit klaren Organisationsstrukturen, mit Verfahren der Willensbildung, mit Organen und nicht zuletzt Instanzen, die authentisch und verbindlich ueber Lehre und Ordnung zu entscheiden haben. - Wer aber diese Koerperschaft mit Kirchenstruktur anstrebt, muss den Islam reformieren - das heisst saekularistisch deformieren. Naturgemaess setzen sie sich der grossen Gefahr aus, aufgrund ihres nun ambivalenten Verhaeltnisses zu Staat und Welt sich politisch-ideologisch anzupassen und dabei ihren religioesen Gehalt zu opfern. Die endgueltige Spaltung der Muslime und schwere innerislamische Auseinandersetzungen werden ein boeses Erwachen ausloesen. Ueber die weitreichenden Konsequenzen dieser Bestrebungen, auch wenn sie nur zum Schein durchgefuehrt werden, muessten sich die Verantwortlichen, wenn sie den Islam verstanden haben, eigentlich im Klaren sein.
Koennten die Muslime nicht ohne Koerperschaft zu ihrem Recht in diesem Lande kommen, wie die Gewerkschaften oder Parteien? Die bilden naemlich auch keine Koerperschaft. Obwohl eine theologische und oeffentliche Diskussion ueber die Koerperschaftsrechte unter den Muslimen fehlt, wurden von Funktionaeren einiger islamischer Kreise schon einige Versuche unternommen, die Koerperschaftsrechte zu erlangen.
Angeblich sollen die Koerperschaftsrechte dem Islam und den Muslimen zur Anerkennung, Respekt, Gerechtigkeit und Achtung in der deutschen Gesellschaft verhelfen. Ausserdem koenne man dann endlich soziale Einrichtungen, wie Kindergaerten, Krankenhaeuser, Schulen und aehnliches errichten und dabei auch noch mit staatlichen Subventionen rechnen. Und schliesslich koenne man (wer?) dann mit Hilfe des deutschen Staates die Zakat in Form einer Kirchensteuer von den Muslimen einkassieren.
Ist diese Anerkennung als Koerperschaft das Opfer wert, das die Muslime mit der Aufgabe ihrer Lehre und ihres Glaubens bringen muessten?
Ganz abgesehen von dem theologischen Irrwitz dieses Vorhabens - auch mit der Vorlage einer amtlichen Bescheinigung werden die Muslime nicht mehr respektiert, als sie es jetzt schon sind. Fuer Respekt und Achtung muss jeder Mensch und auch jede Religionsgemeinschaft selbst sorgen. Eine Bescheinigung schafft das nicht.
Was hat aber die Mehrzahl - also nicht alle - der islamischen Funktionaere in den vergangenen dreissig Jahren in Deutschland getan, um dem Islam und den Muslimen Achtung und Respekt zu verschaffen? Ausser Vortraegen, mit denen sie sich Mut zusprechen, sich und andere zu ueberzeugen trachten sowie Faltblaetter ueber die Ueberlegenheit des Islam herauszubringen haben die meisten nichts Respektables hervorgebracht. Zwei Generationen von Kindern sind unterdessen in Deutschland zur Schule gegangen, ohne dass sie flaechendeckend von den einzelnen Gruppen in der Elternarbeit und Mitwirkung an den Schulen unterstuetzt worden sind. Ganz zu schweigen von der Jugendarbeit.
Wie steht es mit der Durchsetzung unserer Rechte? Die deutsche Verfassung ist die liberalste Verfassung und garantiert die Ausuebung der Religion und die Erfuellung ihrer Grundbeduerfnisse, wie beispielsweise das Gebet am Arbeitsplatz, sich islamisch zu bilden, islamisch zu schlachten, sich in ihrer Art zu kleiden, ihre Toten islamisch und auf islamischen Friedhoefen zu beerdigen. In den Faellen, wo wir unsere Rechte nicht bekommen haben, liegt die Hauptschuld bei uns selbst. Beispiel ist das betaeubungslose Schlachten: Im Fall eines gerichtlichen Alleinganges einer kleinen islamischen Gemeinde sind folgenschwere Fehler gemacht worden. Rechtsgutachten hoher islamischer Autoritaeten haben den Standpunkt der Muslime in Deutschland schlecht vertreten. Dem Anwalt kann kein Vorwurf gemacht werden.
Und nun zum Geld: Was ist aus den zig Millionen Dollar Oelgeldern geworden, die in der vergangenen Zeit bei den reichen Glaubensbruedern im Ausland fuer den Islam in Deutschland gesammelt worden sind? Nicht einmal ein mit dem Soester Curriculum vergleichbarer islamischer Lehrplan ist von den einzelnen Gruppierungen entwickelt worden. Nur eine halbe Million DM haette - neben der Sachkenntnis - dafuer ausgereicht. Erst, als die NRW-Regierung die Initiative ergriff und einen staatlichen Lehrplan in Auftrag gab, wurde der notwendige Schritt zur Buendelung der Kraefte im damaligen Islamischen Arbeitskreis, spaeter "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD) genannt, getan. Erstmalig traten nun die Muslime gemeinsam und mit qualifizierten Stellungnahmen und konstruktiven Vorschlaegen zum Lehrplan auf. Nicht alle haben aus diesen Einheitsbestrebungen gelernt. Sie konnten es wohl auch nicht, weil sie damit ihren Traum von der Alleinvertretung aufgeben haetten.
Haben die unterdessen mehr als zwei Millionen Muslime eine Sozial- und Kulturstiftung in Deutschland errichtet? Schon die Versuche dazu sind gescheitert. An der Finanzierung kann es nicht gelegen haben, dass die Muslime in Deutschland so wenig erreicht haben. Und nun wollen die Muslime mit Subventionen des deutschen Staates es besser machen. Um sich darauf einzulassen gehoert schon viel Ueberwindung der Selbstachtung und des Stolzes. Koennen die Muslime unter diesen Umstaenden Respekt erwarten? Eine Bescheinigung ueber die Anerkennung des Islam hilft da nicht weiter.
Denn Kirchenstruktur bedeutet Instrumentalisierung einer Religion. Aber nur eine Religion ohne Machtstrukturen bleibt lebendige Religion: Jeder Glaeubige ist aufgerufen, selbst ueber seine Religion nachzudenken und nach dem besten Handeln zu streben (Selbstverantwortung des Muslims vor Gott). Der Fortschritt, den der Islam den Menschen gebracht hat, ist die Befreiung des Menschen von Entmuendigung. Die islamisch-kirchlichen Machtstrukturen bedeuten dann entweder fuer den Islam und die Muslime Entfremdung, Polarisierung, Ausgrenzung und schaffen keine Ueberzeugungen oder nur fanatisierte Mitlaeufer oder Schafe. Das Schoepferische, das unsere Religion im Menschen weckt, wird verhindert. Der Fortschritt, den der Islam den Menschen gebracht hat, wird durch entmuendigende und kaum mehr zu beseitigende Machtstrukturen wieder zunichte gemacht. Koerperschaftsrechte nuetzen nur den Funktionaeren. Der Islam wird ihnen so zum Mittel, unangreifbar und ohne Befaehigung Macht auszuueben.
Machtstrukturen sind schwer wieder zu beseitigen. Oder muessen wir dann auch mit Austritten aus dem Islam rechnen? Zunaechst muesste die Kontrolle von Funktionaeren, die schon jetzt das brennende Problem in den meisten islamischen Gruppierungen ist, gesichert sein. In den meisten Gruppierungen ist dieses Thema der Kontrolle eines Vereins durch die Gemeinschaft von den Funktionaeren tabuisiert. Und bis jetzt haben sie sich ja auch auf den blinden Gehorsam verlassen koennen. Wie soll nun die autoritaere Macht solcher Funktionaere kontrolliert werden? Wird weiterhin autoritaer gefuehrt oder demokratisch oder wie anders? Koennen diese islamischen Amtstraeger, die mit allen Mitteln ihre staatliche Anerkennung anstreben, daran gewoehnt werden, dass sie nicht nur von Gott sondern auch von ihren Mitgliedern zur Rechenschaft gezogen werden koennen?
Die Koerperschaftsrechte spalten die schon jetzt zerstrittenen Muslime und die Gruppen, die sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner einigen koennen, endgueltig. Schlimmer noch, die Spaltung vergroessert sich, weil zur Erhaltung immer eine schon jetzt zu beobachtende eigenwillige sektenaehnliche Abgrenzung zu den anderen Gruppierungen noetig ist. Die Koerperschaftsrechte machen diese Entwicklung auch noch amtlich. Spaetestens bei der Verteilung und der Kontrolle der Gelder und bei der Besetzung der Gremien werden sich die Muslime endgueltig entzweien.
Die Muslime muessen erst einmal ihr eigenes Haus in Ordnung bringen, ihre Funktionaere sich der Verantwortung ihrer Mitglieder stellen und Kompetenz und politische Reife beweisen. Dann sollten sie wie jede andere Gruppe in der Gesellschaft ihre Chancen wahrnehmen. Die langjaehrigen Erfahrungen mit der Politik und der allgemeinen Verbandsarbeit und bei Verhandlungen mit Behoerden und Regierungen zeigen, dass es zur Durchsetzung unserer Rechte ausreicht, wenn die Muslime als Religionsgemeinschaft mit ihrer Glaubensueberzeugung kompetent, vertrauensvoll und dauerhaft einig auftreten. Das kann auch mit der Verleihung der Koerperschaftsrecht nicht ueberspielt werden. Fuer unseren Respekt muessen wir sowieso selbst sorgen. Fazit: Das Hauptproblem des Islam und der Muslime sind die Muslime.
Die Chancen des Vereinswesens sind von den Muslimen in Deutschland bei weitem noch nicht ausgeschoepft worden. Elementare Faehigkeiten beispielsweise in der Presse- oder der Lobby-Arbeit sind nur rudimentaer vorhanden. Nur wenige haben begriffen, dass die Politik in Deutschland wesentlich von Verbaenden mitbestimmt wird - boese Zungen behaupten sogar, dass Deutschland eigentlich von den Verbaenden regiert wird - . Die Bedeutung der religioesen Koerperschaften, die uebrigens urspruenglich der Disziplinierung der Kirche beziehungsweise einem "Waffenstillstand" zwischen Staat und Kirche diente, nimmt in der Politik staendig ab. Dennoch liegt eine grosse Versuchung fuer die Muslime in der Erlangung der Koerperschaftsrechte. In der Oeffentlichkeit wird so der Eindruck vermittelt, als ob die Muslime mit ihrem Drang zur Koerperschaft des Oeffentlichen Rechts versuchen, auf ein sinkendes Schiff zu springen.
Auf der einen Seite muessen sich die Muslime um die Ausschoepfung der Verbandsrechte kuemmern und der deutsche Staat sollte sich in bezug auf die islamische Glaubensgemeinschaft bemuehen, nicht auf den auf die christliche Kirche abgestimmten Strukturen und Institutionen zu beharren und statt dessen die Verbandsrechte weiterentwickeln. Damit koennte ein Vorbild auch fuer internationale Strukturen und Regeln zwischen islamischen Laendern und der saekularisierten Welt gegeben werden.
Ayyub A. Koehler, Koeln, den 8.Februar 1997
Erlaubnis zur Veroeffentlichung im Internet wurde vom Autor erteilt. Abdruck erfolgte bereits in Islam hier & heute, Januar 1997, Seite 6.
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