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Christlich-Islamische Gesellschaft e.V.
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Islam und die saekulare Gesellschaft

Vortrag von Dr.Mohammed Badawi

Neulich hoerte ich einen Vortrag von einem bekannten britischen Verfasser und Journalisten zum Thema "Christentum und Islam in Europa". Der Referent ist nach seinem eigenen Selbstverstaendnis ein Saekularist, der religioese Anschauungen im wesentlichen als engstirnig, starr und infolgedessen nicht zu der sich schnell aendernden Gesellschaft passend betrachtet. Als er jedoch anfing, die religioese Landkarte Europas nachzuzeichnen, grenzte er unbewusst das Verbreitungsgebiet der orthodoxen Kirche aus. Er sprach weiterhin vom Islam als einem in Europa voellig neuen Phaenomen, das erst mit den maghrebinischen und pakistanischen Einwanderern kam. Er schien sich der einheimischen europaeischen Muslime in Jugoslawien, Albanien und den anderen Balkanstaaten ueberhaupt nicht bewusst zu sein, ganz zu schweigen von den kleinen Gemeinden in Polen und im Wolgabecken. Trotz aller Vorgabe, ein saekularer Mensch zu sein, sprach er als westlicher Christ, der geringschaetzig auf die orthodoxe Kirche hinabsieht und nicht wahrnimmt, dass das christliche Europa seit mehr als sechs Jahrhunderten eine Heimstatt des Islam ist.

Selbst unter der intellektuellen Elite ersetzt der Saekularismus selten etablierte religioese Vorstellungen. Religionen sind als alte Gewohnheiten nur schwer auszurotten. Wie oft wurde uns von Saekularisten mitgeteilt, Gott sei tot, nur um zu entdecken, dass diese Nachricht grob uebertrieben war.

Die Religion bleibt ein sehr wichtiges Element im gesellschaftlichen Leben und ein Hauptfaktor zur Analyse und zum Verstaendnis menschlichen Verhaltens. Westlicher Saekularismus ist im wesentlichen ein christlicher Saekularismus, denn er hat einen grossen Teil der kulturellen Aspekte des mittelalterlichen Christentums und fast alle seine Vorurteile beibehalten oder absorbiert. Trotzdem ist es fuer Minderheiten leichter, mit einer Gesellschaft zu leben, die sich als saekular darstellt. Wir muessen allerdings im Auge behalten, dass die saekulare Gesellschaft, der wir Muslime im Westen gegenueberstehen, nicht der theoretische Saekularismus ist, der die Gesellschaft auf rein humanistischen Grundsaetzen organisiert, wobei er die Religion auf das Gewissen des Individuums und die Zusammenkuenfte auf die Gottesdienststaetten beschraenkt. Darum stellt der westliche Saekularismus mit christlichen Charakteristika eine doppelte Herausforderung fuer den Islam dar.

Wie haben Muslime auf diese Herausforderung reagiert? Der Saekularismus wurde als Antithese zum Islam an sich voellig verworfen. Die Religion bildet den Kernpunkt aller Aspekte des Lebens eines Muslims. Er gibt ihm/ihr sein/ihr Glaubenssystem und seine/ihre Verhaltensregeln. Innere Erfahrungen und Handlungen werden von Aqida, den Glaubensgrundsaetzen, und Shari'a, dem islamischen Gesetz, geleitet, die beide im Qur'an und den Aussagen, Handlungen und Entscheidungen des Propheten enthalten sind. Sowohl der heilige Qur'an als auch der Prophet sind zwei verschiedenen historischen Zeitraeumen zugeordnet. Der Zeitraum, in dem der Prophet wirkte, erstreckte sich ueber 23 Jahre. Die ersten dreizehn davon verbrachte er in Mekka im Ringen mit einer maechtigen und grausamen Opposition. Einige seiner Gefaehrten wurden gefoltert und ermordet, andere mussten zu ihrer Sicherheit nach Abessinien fliehen oder in eine tolerante arabische Stadt wie Yathrib oder eine Ortschaft oestlich von Mekka. Er selbst musste nach Yathrib auswandern, nachdem er von einer Verschwoerung erfuhr, ihn zu ermorden. Waehrend dieser dreizehn Jahre waren die Muslime eine machtlose Minderheit, die sich mit Versuchen befasste, die Unterdrueckung durch ihre Feinde zu ueberleben und andere durch Predigt und Diskussion zu gewinnen.

Im heiligen Qur'an befassen sich, wie die Gelehrten erlaeutern, die Texte aus dieser Periode mehr mit zentralen Glaubensfragen und weniger mit gesetzlichen Angelegenheiten. Sicherlich haben die Muslime in Mekka den Verhaltenskodex befolgt, den der Qur'an entwarf und den der Prophet erlaeuterte. Aber dieser Kodex war notwendigerweise eher ethisch als rechtlich. Der wesentliche Arm des Staates fehlte. Diese Situation aenderte sich jedoch, als der Prophet selbst nach Yathrib auswanderte, das er in Al-Madina (die Stadt) umbenannte. Von diesem Augenblick an bis zum Tode des Propheten zehn Jahre spaeter fuhr dieser, der sowohl politisches als auch religioeses Oberhaupt seiner Gemeinschaft geworden war, fort, verwaltungsmaessig und rechtlich einen Rahmen fuer den Stadtstaat Al-Madina zu formulieren. Unsere Shari'a stammt groesstenteils aus dieser Periode. Die Kalifen, die Nachfolger des Propheten, fuegten weitere Gesetzgebung hinzu, um den sich entwickelnden Umstaenden Rechnung zu tragen.

Die Shari'a, so wie wir sie heute kennen, bildete sich nicht vor dem Ende des ersten Jahrhundert des Islam heraus. Muslime hatten seit der fruehesten Zeit nach dem Propheten unterschiedliche Ansichten ueber Glaubensfragen. Innerhalb von zwanzig Jahren nach dem Tod ihres Propheten konnten sich die Muslime nicht ueber die Definition eines Muslim einigen, so weit, dass sich sich deswegen bekaempften. Obwohl die Shari'a ideenreich war, war sie doch nicht voellig oder auch nur zum Teil goettlich. Sie war das Werk genialer und aufrichtig mit ihrer Aufgabe befasster Menschen, die versuchten, ein auf der goettlichen Offenbarung begruendetes Recht hervorzubringen, das gleichzeitig die Beduerfnisse der Gemeinschaften erfuellte.

Es gibt mehr als zwanzig Rechtsschulen, die wir "Madhab" nennen. Der Muslim ist verpflichtet, die Shari'a zu befolgen. In der Tat ist es gerade das Wesentliche an einem Muslim, der Shari'a zu gehorchen. Eine der Anforderungen der Shari'a ist das Glaubensbekenntnis, die Shahada: "Es gibt keinen Gott ausser Allah, und Muhammad ist sein Gesandter". Eine solche Erklaerung gewaehrt einem Menschen die Mitgliedschaft der Umma, der muslimischen Gemeinschaft. Niemand wird der Inquisition ausgesetzt, um festzustellen, ob er/sie aufrichtig ist. Das Gesetz befasst sich nicht mit dem, was in den Herzen der Menschen ist, sondern mit dem, was sie tun oder sagen. Das Versaeumnis eines Muslim, ohne zwingenden Hinderungsgrund die Shari'a zu beachten, zieht eine Intervention des Staates nach sich, aber eine Person verliert die Mitgliedschaft in der muslimischen Gemeinschaft, wenn sie/er die Autoritaet der Shari'a leugnet.

Das islamische Gesetz wurde fuer die dominante Gemeinschaft formuliert und ist daher ein Gesetz fuer die Mehrheit oder die regierende Autoritaet. Unsere fruehen Gelehrten liessen keinen Platz fuer die Muslime als Minderheit. In der Tat verboten einige von ihnen, in nichtmuslimischen Laendern zu leben, es sei denn, es waere absolut notwendig. Sie stellten auch keine Regeln fuer Muslime auf, die unter die Herrschaft erobernder Feinde gerieten. In jener Zeit war der muslimische Staat so maechtig, dass ihnen dieser Gedanke gar nicht erst gekommen ist. Obendrein waren sie damit befasst, den unmittelbaren gesetzlichen Erfordernissen der Regierung von Damaskus und Baghdad zu begegnen und nicht so sehr mit der hypothetischen Gemeinschaft, die sich vielleicht einmal in Westeuropa wiederfindet. Als die Rechtsschulen erst einmal endgueltig etabliert waren - im vierten Jahrhundert des Islam - wurde der Entstehung neuer Schulen die Tuer verschlossen.

Es gab gesellschaftliche, politische und religioese Gruende fuer dieses ploetzliche Verbot rechtlicher Neuerungen, aber um dieses Verbot herum entstand ein weitschweifiger Mythos, der besagte, jene fruehen Gelehrten seien besonders auserwaehlt gewesen, und die Umma koenne dergleichen nicht mehr hervorbringen.

Jahrhundertelang hing die Umma der Lehre an, Muslime muessten einer der etablierten Schulen folgen und duerften sich nicht mit neuem Denken befassen. Als das Land von den Mongolen und von den Kreuzfahrern ueberrannt wurde, gelang es ihnen, von ihren Gesetzen so viel zu bewahren, wie es ihr Gewissen beschwichtigte, waehrend notwendigerweise jene Aspekte ausgelassen wurden, die ihre Herren nicht zuliessen. In der modernen Zeit sind die Probleme so komplex geworden, dass einige westliche Gelehrte es fuer unmoeglich halten, sie zu loesen.

Die Jahrhunderte der muslimischen Stagnation fielen mit dem erstaunlichen westlichen Fortschritt in allen Aspekten der menschlichen Entwicklung zusammen. Westliche Gesellschaften absorbierten allmaehlich ueber einen langen Zeitraum hinweg die notwendigen Veraenderungen. Aber nun standen die Muslime der Notwendigkeit gegenueber, die Jahrhunderte der Entwicklung im Zeitraffer von Jahrzehnten, wenn nicht von Jahren, zu vollziehen. Die Muslime reagierten auf diese Situation auf verschiedene Weise. Die erste besteht darin, abzustreiten, dass dies ueberhaupt ein Problem ist. Westliche Errungenschaften sind eine Illusion. Sie sind auf dem Treibsand moralischer Korruption und gesellschaftlichen Niedergangs aufgebaut und werden bald unter dem Gewicht ihrer eigenen Unmoral zusammenbrechen, und der Islam wird die Erde erben.

Sie feiern das Erscheinen eines jeden westlichen Werks, das das Ende der westlichen Zivilisation prophezeit - und einiges von ihrer eigenen. Fuer sie ist Saekularismus spezifisch christlich und geht aus dem Konflikt zwischen Kirche und Staat hervor. Da der Islam keine Geistlichkeit hat, ist kein solcher Konflikt moeglich. Der Islam, den sie proklamieren, ist ein Islam, der nicht saekularisiert werden kann, denn ein saekularisierter Islam ist ein verleugneter Islam. Diese Leute denken und handeln wie jeder ihrer saekularisierten Nachbarn, aber emotional und intellektuell bewohnen sie eine Welt, die mindestens vier Jahrhunderte alt ist. Ich wuerde sie als konservativ bezeichnen. Sie fuerchten Veraenderungen, jede Veraenderung. Wenn sie ihnen aufgezwungen wird, beschliessen sie, sie nicht zu sehen oder sich nicht einzugestehen.

Die zweite besteht darin, die Einrichtung des westlichen Saekularismus als unvermeidliche und sogar wuenschenswerte Entwicklung zu akzeptieren und gutzuheissen. Taha Hussain bringt diesen Trend wie folgt zum Ausdruck. "Lasst uns westliche Zivilisation in ihrer Gesamtheit uebernehmen, das Gute mit dem Schlechten, das Bittere mit dem Suessen". Die Religion soll eine Privatsache zwischen dem Individuum und seiner auserwaehlten Gottheit werden. Die Gesellschaft soll darauf verzichten, ein Rechtssystem zu erzwingen, das nicht mit saekularen Vorstellungen uebereinstimmt.

Die Shari'a soll darum zur Ruhe gelegt werden, als eine historische, nicht als lebende Tradition. Erst ganz kuerzlich hat Prof.Aziz Azmeh von Exeter in England gesagt (und zwar zur Streitfrage um "Al-Naqid" - "Der Kritiker" - eine arabische Literaturzeitschrift, die in London erscheint): "Wir werden nie Fortschritte machen, wenn wir nicht das Vergnuegen opfern, in die Vergangenheit zu fluechten und uns nach dem zu sehnen, was vergangen ist". Er tadelt das Jordanische Parlament dafuer, dass es sein aeltestes Mitglied, einen Christen, gezwungen hat, die Sitzung im Namen Allahs zu eroeffnen. Dies geschah auf Verlangen jener Mitglieder, die der Gesellschaft der Muslimbrueder angehoeren. Professor Azmeh sagte: "Was von uns verlangt wird, wo wir an der Schwelle zum 21.Jahrhundert stehen, ist nicht weniger als nationale Demokratie, d.h. voelliger Saekularismus" (Ausgabe 33, Maerz 1991, Seite 21).

Zwischen diesen beiden Extremen liegt eine Anzahl von anderen Reaktionen. Eine davon ist der Versuch, Saekularismus in den Islam einzuschmuggeln, indem man ihn mehr als islamische denn als westliche Auffassung annimmt. Ali Abduraziq, ein Sheik von Al-Azhar, weist in seinem beruehmten Buch "Islam und die Prinzipien der Regierung" darauf hin, dass die Shari'a eine Sammlung ethischer Gebote ist, die nie vom Staat erzwungen werden sollten. Er leugnet, dass der Prophet absichtlich eine Regierungsform und ein Rechtssystem aufgebaut hat. Er war nur ein Prophet, kein Koenig, ein Leiter, kein Herrscher.

Er versucht, den Saekularismus in islamischen Begriffen zu rechtfertigen, indem er die mekkanische Zeit ausmalt und die medinensische Zeit als nicht charakteristische Entwicklung behandelt, die auf keine Weise einen Praezedenzfall fuer diejenigen darstellt, die ein islamisches Regierungssystem befuerworten. Das Kalifat - so sagt er - war eine Einrichtung, die von politisch motivierten Prophetengefaehrten ohne islamische Grundlage erfunden wurde. Der Prophet kam, um Seelen zu retten, nicht um Koerper zu kontrollieren. Auf diese Weise wird der Saekularismus zu einer heimischen Pflanze und keine Aufpfropfung.

Eine vierte Reaktion, die man als radikal konservativ oder - um einen gebraeuchlichen Ausdruck zu benutzen - als fundamentalistisch bezeichnen kann, erkennt zwar die Veraenderungen, die in der Welt stattgefunden haben, und akzeptiert, dass einige Zugestaendnisse noetig sein koennen, besteht aber auf der absoluten Oberhoheit der Shari'a und der Verpflichtung, sie durch Ueberzeugung, wenn moeglich, und noetigenfalls mit Gewalt zu etablieren. In diese Kategorie koennen Sie die Muslimbrueder in der arabischen Welt, die islamische Revolution im Iran und die Jama'at-e-Islami auf dem indopakistanischen Subkontinent einordnen. Ihr Programm besteht einfach darin, den Saekularismus in jeder Form abzulehnen und gleichzeitig die Notwendigkeit zu akzeptieren, in gewissen Aspekten der Shari'a flexibel zu sein, naemlich in jenen unwesentlichen Elementen, die besonders fuer einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Zeit in der Geschichte gueltig waren.

Dies sind Aspekte, die nicht direkt vom heiligen Qur'an und den authentischen Berichten von den Worten und Handlungen des Propheten entnommen sind. Lasst uns zum Goldenen Zeitalter der idealen Gesellschaft in Medina zurueckkehren, der Gesellschaft des Gluecks, der sozialen Gerechtigkeit, Sicherheit und Glorie. Die Shari'a ist unser Reisepass zu diesem schoenen Ziel und unser Schluessel zum verheissenen Utopia.

Die letzte Reaktion ist das, was man als Reformbewegung bezeichnet. Sie versucht, einen Kompromiss zwischen der starren Reaktion der Konservativen herzustellen, die sich der Bewegung der Zeit nicht bewusst sind, und den Saekularisten, die religioesem Glauben einen geringen Stellenwert beimessen. Sie betrachten die ersteren als solche, die Kontinuitaet gewaehlt und Veraenderungen abgelehnt haben, waehrend sich die Saekularisten der Veraenderung verschrieben haben und die grundlegenden und unveraenderlichen Elemente der Gesellschaft ignoriert haben. Ihre Grundannahme ist die, dass der Islam ohne Schwierigkeiten die moderne Gesellschaft aufnehmen kann. Dies kann man erreichen, indem man zum urspruenglichen Islam als Anfangspunkt zurueckkehrt und alle notwendigen Veraenderungen aufgreift.

Fuer die Reformisten ist der bestehende Islam der Konservativen nicht in der Lage, den Herausforderungen der modernen Welt zu begegnen, denn es ist kein reiner Islam, sondern ein Islam, der unter jahrhundertelangen Hinzufuegungen leidet. Indem man diese Elemente aus dem Islam entfernt, wird er darauf vorbereitet, Elemente aufzunehmen, die die gegenwaertigen Erfordernisse erfuellen. Die zweite Grundannahme ist die, dass die Shari'a flexibel in allen ihren Aspekten ist, mit Ausnahme der Grundprinzipien. Sie anerkennt auch das oeffentliche Interesse als Leitgedanken fuer gesellschaftliche Veraenderungen. Das Interesse der Gesellschaft und das, was zu ihrem Ueberleben, Wachstum und Fortschritt notwendig ist, muss bei Rechtsentscheidungen eine zentrale Stellung einnehmen.

Dies bedeutet, dass die lange verschlossene Tuer rechtlicher Erneuerung, des Ijtihad, wieder geoeffnet werden muss und die Energien der Gelehrten davon abgebracht werden muessen, Kommentare zu alten Werken zu schreiben, um stattdessen die wirkliche Situation der heutigen Gesellschaft zu studieren und rechtliche Loesungen dafuer zu formulieren. Man kann die Menschheit nicht in ein Goldenes Zeitalter zurueckschieben, aber man kann sie durch den angemessenen Gebrauch des Ijtihad, der bestrebt ist, mehr den Geist als den Buchstaben des Gesetzes zu etablieren, in die Gegenwart bringen.

Die Reformbewegung wird am besten durch Jamaluddin Al-Afghani repraesentiert, einen Gelehrten und Revolutionaer des 19.Jahrhunderts, der eine "Widerlegung der Materialisten" schrieb, worin er den Saekularismus und in der Tat alle anderen Ismen ausser dem Islamismus ablehnt. Sein Schueler Muhammad Abduh aus Aegypten versuchte, die Shari'a zu transformieren, und es gelang ihm seinerseits, einige Schueler auszubilden, die nach seinem Tod 1905 sein Werk fortsetzten.

Nun befassten sich aber alle diese Reaktionen mit der Zukunft des Islam in seinen eigenen Heimatlaendern, wo die Muslime die Mehrheit bilden. Die Frage nach dem Status der Muslime als Minderheit hat in ihren Ueberlegungen wenig Platz eingenommen. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Saekularisten in ihren zwei Ausfuehrungen, der westlichen und der islamischen, dies nicht als Problem ansehen. Die Konservativen versuchen, sich so weit wie moeglich an die sichtbaren Formen der Shari'a zu halten. So bestehen sie darauf, das zu uebernehmen, was sie als islamische Kleidung und islamisches Auftreten bezeichnen, und sie sind vielleicht versucht, ein isoliertes Dasein zu fuehren. Die radikalen Konservativen teilen einige der Sorgen der Konservativen um die aeusserliche Form der Shari'a, aber sie machen dies nicht zu ihrer einzigen Frage. Sie propagieren aktiv ihren Glauben und formulieren ein attraktives Programm, das oft ihre Probleme vereinfacht und zu vereinfachten Antworten fuehrt, ein sicheres Rezept fuer Extremismus.

Die Reformisten stellen muslimische Minderheiten in den Status eines mu'ahad, d.h. einer Person, die bestrebt ist, in ein Land einzureisen, unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass er/sie das oeffentliche Gesetz dieses Landes befolgen. Ihre persoenliche Religionszugehoerigkeit und die entsprechenden Pflichten wie Gebet, Fasten oder Hajj (Pilgerfahrt) koennen und muessen erfuellt werden. Die Beziehung zwischen Angehoerigen der Gesellschaft sollten soweit moeglich von der Shari'a bestimmt werden, und den Muslimen wird darum nahegelegt, Institutionen und Komitees kompetenter Gelehrter zu schaffen, die sie leiten.

Sie duerfen nicht separat leben, muessen sich jedoch von der Permissivitaet distanzieren, die zum Merkmal der saekularen Gesellschaft geworden ist. Kurz gesagt besteht das reformistische Projekt fuer die Minderheiten darin, dem Gastland gegenueber loyal zu sein und gleichzeitig den Glauben aufrechtzuerhalten und so weit wie moeglich der Shari'a zu folgen. Es wird berichtet, dass der Prophet sagte: "Wenn ich euch anweise, eine Aufgabe auszufuehren, dann tut davon, was ihr koennt". Und der Qur'an sagt: "Allah legt keinem Individuum mehr auf, als es tragen kann".

Dieses Projekt ist nicht leicht. Die Spannung zwischen der Loyalitaet den Landsleuten gegenueber und der Loyalitaet den Religionsgenossen gegenueber kann intensiv sein. Aber andererseits ist die menschliche Situation so geartet, dass man Spannungen erleidet und diese loest, um sich einer anderen Spannung zuzuwenden.

Zum Schluss moechte ich darauf hinweisen, dass diese Reaktionen Punkte auf einer Geraden sind, die sich von den Ultrakonservativen bis zu den Ultrasaekularisten erstreckt. Die Grenzen zwischen den anderen Gruppen sind nicht scharf. Viele reformistischen Ideen sind von radikalen Konservativen aufgenommen worden, und einige Ansichten muslimischer Saekularisten sind Weiterentwicklungen von Ideen, die von Reformisten angeregt wurden. Die Dynamik der Reformbewegung jedoch bietet die beste oder sogar einzige Zukunftshoffnung.

Dr.Mohammed Badawi, London, hat an der Al-Azhar-Universitaet in Kairo studiert und dort auch gelehrt. Heute ist er Leiter des Muslim-College in London. Die Uebersetzung besorgte Halima Krausen, Hamburg. Der Vortrag wurde gehalten auf der JCM-Tagung 1991 in Bendorf und veroeffentlicht in Moslemische Revue, Heft 3 1992, Seite 158.


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