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Christlich-Islamische Gesellschaft e.V.
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Multikulturelle Gesellschaft heute -
Zukunftsvision im Lichte des Evangeliums

  1. Von der Geschichte lernen
  2. Aufdeckung des Grundproblems: die Begegnung mit dem Anderen
  3. Eine neue Seele fuer die werdende Voelkergemeinschaft Europas

Vorwort

Vor laengst vergangenen Jahren schrieb der Dichter Juvenalis: "Spes vitae cum sole redit" (Satiren 12,70), oder: "die Hoffnung auf das Leben kehrt bei jedem Sonnenaufgang zurueck". Hoffnung ist nicht nur eine theologische Tugend, sondern auch eine wesentliche Existenz-Bedingung.

Ich moechte diesen Vortrag mit diesem Gedanken beginnen, weil es nicht meine Absicht sein kann, pessimistisch oder hoffnungslos zu sein. Es ist zweifelsohne wahr, dass die Lage der heutigen Welt - und darum auch der heutigen Menschen in Europa - uns nicht hoffnungsvoll stimmt. Die Zeichen der Zeit zeigen einen inneren Widerspruch. Einerseits erleben wir heutzutage den Zusammenbruch der real-existierenden kommunistischen und sozialistischen Systeme, andererseits erfahren wir taeglich, wie schwierig es ist, eine andere Wirtschaft oder eine andere staatliche Ordnung aufzubauen. Widerspruchsvoll sind die Bestrebungen, Europa zu einigen, und die immer wachsenden sozialen, kulturellen, ethischen und religioesen Gegensaetze innerhalb des neuen Europas.

Es ist kaum vorstellbar, wie man die Aufforderung zur Neuevangelisierung mit der Tatsache einer staendig wachsenden Pluralitaet der Religionen in Europa in Uebereinstimmung bringen kann. Ist der Islam nicht die zweite Religion Europas mit fast fuenfundzwanzig Millionen Glaeubigen? Wohnen in Europa nicht etwa acht Millionen Hindus und ebensoviele Buddhisten? Sind in mehreren Laendern die Religionen Afrikas - wie in England, Holland und Frankreich - nicht gut vertreten?

Gibt es nicht viele Europaeer, die versuchen, den Sinn des Lebens in Neubewegungen oestlichen Ursprungs zu entdecken? Schliesslich, wir erleben heutzutage eine Art neuer Voelkerwanderung: Fremdarbeiter und Asylbewerber, die oefters eine andere Kultur und Religion vertreten, bewerben sich um eine neue Heimat in dem europaeischen Hause. Aber ohne Widerspruch bleibt dies nicht.

Diese ganz kurze Analyse der heutigen Lage in Europa duerfte das Thema meines Vortrages aufgegriffen haben. Neue hoffnungsvolle Ereignisse gibt es viele, aber diese sind zu gleicher Zeit Anlaesse zur Besorgnis. Eine multikulturelle Gesellschaft ist entstanden und wir brauchen eine neue Zukunftsvision, um diese Herausforderung konstruktiv annehmen zu koennen. Als Christen fragen wir uns, wie die Frohbotschaft des Evangeliums in dieser Hinsicht wegweisend sein kann. Denn ich bin davon ueberzeugt, dass Juvenalis recht hatte, als er schrieb: die Hoffnung auf das Leben kehrt bei jedem Sonnenaufgang zurueck!

Das duerfen wir von der Geschichte lernen und darum werde ich im ersten Teil dieses Vortrages die Geschichte ein wenig reden lassen. Im zweiten Teil werde ich versuchen, das Grundproblem "die Begegnung mit dem Fremden" aufzudecken. Und im dritten Teil frage ich mich, wie wir als Christen der werdenden Voelkergemeinschaft eine neue Seele zu geben imstande sein werden. Fuer mich ist das der Sinn und Zweck einer Neuevangelisierung.

1. Von der Geschichte lernen

Waehrend vieler Jahrhunderte - sowohl im Mittelalter wie auch waehrend der Neuzeit - war die Utopie einer universellen Christenheit in Europa vorherrschend. Diese Utopie war politisch, sozial und religioes gepraegt. Es sollte eine Christenheit sein, in der die Menschen katholisch waren, der Papst die Fuehrung hatte und den weltlichen Herrschern ihre Macht verlieh. Sitten und Werte sollten gleich sein.

Diese Utopie war niemals ganz verwirklicht worden, aber sie blieb das Wunschbild. Man kann diese Utopie in einem biblischen Satz zusammenfassen: "Eine Herde und ein Hirte". In dieser einen Herde war kein Platz fuer Juden, Muslime, Ketzer, Haeretiker und Unglaeubige. Sie waren Fremdkoerper und sollten beseitigt werden.

Alle Macht - auch die weltliche - wurde von dem einen Hirten, dem Papst, vergeben. Diese eine Herde sollte an uebereinstimmenden Sitten und Werten erkennbar sein. So versteht man, warum waehrend der langen Geschichte Europas das Grundproblem, die Begegnung mit dem Fremden, eine wichtige und eine oefters widerliche Rolle gespielt hat. Dass diese Utopie biblisch begruendet war, soll uns nachdruecklich mahnen, Vorsicht zu ueben besonders in unserer Zeit, worin es wieder fundamentalistische Bewegungen gibt.

Diese Utopie einer universellen Christenheit zielte darauf, eine Symbiose des christlichen Glaubens mit einer bestimmten Kultur zu erreichen. Sie sollte eine soziale, politische, wirtschaftliche und institutionelle Einheit schaffen. Das beabsichtigte Fundament war eine intensive, soziale und religioese Homogenitaet, was dazu fuehrte, dass insbesondere die fremden Religionen und Sitten ausgeloescht werden sollten. Das katholische Christentum war ueberzeugt, dass es die optimale Verwirklichung des Evangeliums unter den Menschen war, weil es die Praesenz des Evangeliums durch die Institutionen der Gesellschaft garantierte.

Evangelisierung konnte nichts Anderes sein als Expansion ausserhalb der Grenzen dieser Christenheit, wenn notwendig mit Gewalt. Mission wurde verstanden als Ausdehnung der kulturellen, religioesen, politischen und wirtschaftlichen Grenzen. Christentum und Kultur wurden nicht voneinander unterschieden.

Man sollte dieses Modell der Verwirklichung der Praesenz des Christentums nicht unterschaetzen. Es war keine pathologische Entartung in der Kirchengeschichte. Immer wieder begegnet man diesem Modell bis zum heutigen Tag. Hier koennen nur einige Beispiele hervorgehoben werden. Vor fuenfhundert Jahren hat die Expansion des Christentums in Amerika angefangen. Es wurde versucht, die Utopie, die in Europa nie ganz verwirklicht werden konnte, in Amerika zu realisieren. Der Papst beauftragte den spanischen Koenig, die neu entdeckten Laender in Besitz zu nehmen und die Kirchen da zu gruenden.

Die weltlichen und kirchlichen Diener der spanischen Krone waren als Kinder ihrer Zeit davon ueberzeugt, dass die spanische Kultur und die katholische Religion, wie sie in Europa gross geworden war, unbedingt notwendig waren, um eine neue Christenheit zu gruenden. Andere Kulturen und Religionen konnten weder soziologisch noch theologisch akzeptiert werden.

Die anderen Religionen waren ja gemaess der damals gelaeufigen Theologie Idolatrien, Goetterdienst, Goetterglaube und Goetzendienst. Es blieb nur die Aufgabe, diese zu zerstoeren. Zwar haben viele Missionare als Ethnographen die Sprachen und Kulturen studiert und dargestellt und indirekt dazu beigetragen, dass eine Osmose der indianischen und der christlichen Religionen entstand, aber das heisst nicht, dass sie ihre Theologie und ihre Missions-Auffassung aufgaben.

Beruehmt ist der Ritenstreit im Fernen Osten gewesen. Besonders die Jesuiten haben in China waehrend des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts Riten und religioese Ueberzeugungen der Chinesen positiv beurteilt und sie akkomodierten diese mit der christlichen Religion. Wie die Franziskaner in Mexiko so haben die Jesuiten in China Grosses geleistet. Und doch ist es wahr, dass die Jesuiten nie die chinesischen Religionen mit dem Christentum im Dialog verbunden haben.

Als Kinder ihrer Zeit betrachteten sie die Religionen als Idolatrien. Was sie in Wirklichkeit taten, war Elemente dieser Religionen - wie Ahnenkult, Konfuzius-Verehrung, Kaiserkult und Gottesnamen - als buergerliche Gebraeuche und Ueberzeugungen zu deuten. Die Entstehung einer neuen Theologie oder einer neuen Missionsethik war von vornherein ausgeschlossen.

Es gab andere Missionare, die diese Kulte und religioesen Ueberzeugungen als wirklich religioes betrachteten und gerade darum die Methode der Akkomodation der Jesuiten bestritten. So kam der Ritenstreit ins Leben und dies hat bis 1939 nachgewirkt. Die Utopie war lange lebendig!

Das grosse Missionszeitalter ist das neunzehnte und das zwanzigste Jahrhundert gewesen. Man soll nicht meinen, dass das Modell der einen Christenheit darin keine Rolle spielte. Die Formen duerfen sich aendern, die Sache bleibt. Die Franzosen betrachteten ihre Kirche als die aelteste Tochter der Kirche und versuchten, diese Kirche ueberall zu pflanzen.

Die Deutschen waren oefters mehr mit ihrem Deutschtum beschaeftigt als mit Inkulturation des christlichen Glaubens. Man lese die vielen Publikationen ueber das Deutschtum und die katholischen Missionen, die Anfang dieses Jahrhunderts geschrieben worden sind und die noch immer nicht wissenschaftlich untersucht worden sind. Die Niederlaender und Belgier haben es bestimmt nicht anders getan in Indonesien oder in Zaire.

Die Diskussion ging ueber das Ziel der Mission: ist es Taufe oder Kirchenpflanzung, individuelle oder kollektive Bekehrung? Es ging nicht um die Begegnung mit dem Anderen als Anderen.

Die Geschichte duerfte uns lehren, dass die Begegnung mit dem Anderen immer eine schwierige Sache gewesen ist. Menschen wurden zu Objekten degradiert. Ihr Subjektsein, ihre ihnen innewohnende Wuerde wurde nicht entdeckt und wahrgenommen. Sie muss ihnen erst zugesprochen werden, sie muessen dazu erzogen und entwickelt werden. Wir stehen heute vor nichts Geringerem als der Aufgabe, einen neuen Weg der Begegnung mit dem anderen Menschen, dem Fremden zu suchen.

2. Aufdeckung des Grundproblems: die Begegnung mit dem Anderen

Im Grunde geht es hierum: es geht um die Anderen oder die Fremden als Andere und als Fremde. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass bereits heutzutage und besonders waehrend der kommenden Jahrzehnte die Bejahung der Anderen gerade als Andere die wesentliche Sendung und Aufgabe ist.

Mission oder Evangelisierung sind noch immer wichtig wie auch die Missionswissenschaft. Dies gilt insbesondere fuer Europa. Die Ursache vieler Uebelstaende ist der Egozentrismus: Egozentrismus des eigenen Volkes oder des eigenen Stammes, Absolutismus der eigenen Wahrheit - religioes oder politisch -, Egozentrismus des eigenen Sieges, auch wenn dies den Hungertod von Millionen Menschen kostet, und Egozentrismus der Mammongier in uns, in multinationalen Unternehmen oder in Hilfe verbunden mit Selbstsucht.

Im heutigen Europa gibt es bereits ethnische und religioese Kriege und Streitigkeiten. Die eigene politische oder religioese Wahrheit wird so stark betont, dass Freiheit, Dialog und voneinander lernen schwierig geworden sind. Man will besiegen und opfert fuer die eigene Sache alles auf: Familien, Staedte, kulturelle und religioese Denkmale, die Wirtschaft und sogar Menschenleben.

Die Konsumgesellschaft hat uns gelehrt, um des schnoeden Mammons willen habgierig zu werden in solchem Masse, dass unser Ueberfluss Ursache der Armut und des Hungers der Anderen geworden ist. Wir entdecken, dass Habgier die Wurzel allen Uebels ist. Wir muessen uns bekehren und die Interessen der Anderen ueberwiegen lassen. Dies ist die Bekehrung oder die Metanoia, die wir alle brauchen. In diesem Sinne ist Neuevangelisierung zu verstehen.

Staerker als je zuvor erfahren die heutigen Europaeer, dass sie selber Fremde oder Andere geworden sind. Nicht nur die Tuerken, die Marokkaner, die Vietnamesen, die Inder, die Surinamer und die Afrikaner sind Fremde in unseren Laendern, sondern auch wir selbst, die Europaeer, werden uns bewusst, dass wir in kultureller und religioeser Hinsicht Fremde geworden sind. Das Eigene schuetzt uns nicht gegen Ueberfremdung. Es waere falsch, die Saekularisation oder die Individualisation als einzige Ursachen zu betrachten.

Irgendwie sind wir selbst wurzellos geworden. Unser Haus gehoert nicht mehr den urspruenglichen Bewohnern. Wir muessen es mit Menschen fremder Weltanschauungen, Kulturen und Religionen teilen. Aber auch das geistige Haus Europas hat seine Tueren geoeffnet. Unsere Sitten haben sich geaendert wie auch unsere religioese Gedankenwelt. Die Medien konfrontieren uns mit Lebens- und Weltanschauungen, die in Europa nicht heimisch waren.

In rascher Folge erleben wir soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklungen. Viele Menschen in Europa sind verunsichert. Die traditionelle Religion Europas, das Christentum, ist in Bewegung geraten. Und nicht wenige in Europa gehoeren zur vierten Welt und das bedeutet, dass sie leiden an einer Armut, die von ungerechten Strukturen aufrechtgehalten wird. Auch diese armen Europaeer sind Fremde geworden.

Daraus ergibt sich die folgende Problematik: wir sind fremd geworden, oder: wir sind wurzellos geworden. Die Folgen sind wahrnehmbar: die Polarisierung nimmt ueberhand, viele Menschen suchen ihr Heil in anderen Weltanschauungen oder im Fundamentalismus, extremistische Bewegungen und Parteien finden bei vielen Gehoer, und nicht wenige Menschen entscheiden sich fuer ein bequemes Leben und bezweifeln, dass es ueberhaupt moeglich waere, die Welt so zu gestalten, dass Frieden, Gerechtigkeit und Menschenwuerde fuer alle erreichbar sein koennten.

Ich hoffe, dass ich das Grundproblem der Begegnung mit den Anderen Verdeutlicht habe. Diese Problematik ist allgegenwaertig in unseren Beziehungen mit den Fremden und in unserer eigenen Existenz. Es ist nicht meine Absicht, nur pessimistisch zu sein. Ich bin mir bewusst, dass in unserer Gesellschaft auch hoffnungsvolle Neuansaetze vorhanden sind. Darueber werde ich spaeter noch einiges sagen. Ich moechte nur betonen, dass meines Erachtens die Ueberwindung dieser Problematik die Hauptaufgabe der Evangelisierung am Ende des zwanzigsten und im Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist.

3. Eine neue Seele fuer die werdende Voelkergemeinschaft Europas

Von uns wird eine zweifache Bekehrung gefragt. Die Tatsache, auf die Situation eines Fremden in unserer eigenen Gesellschaft reduziert zu sein, muessen wir hinnehmen, und die Wuerdigung der Anderen als Andere muessen wir lernen. Ich bin davon ueberzeugt, dass die Bejahung unserer Situation des existenziellen Fremdseins eine wichtige Bedingung zur Wuerdigung der Anderen als Andere ist. Gerade wenn wir unsere eigene Situation verstehen, werden wir imstande sein, neue Wege zu gehen.

Wir sind Sucher geworden oder Pilger, und zwar gemeinsam mit allen, die in unserer multikulturellen Gesellschaft Fremde sind. Der Weg, die Fremden willkommen zu heissen innerhalb eines Systems, das sie als Andere wegfegt, ist ungehbar geworden. Es bleibt uns nichts anderes uebrig, als Zusammengehoerigkeitsgefuehle und Solidaritaet aufzubauen. Allzu lange haben wir Unterschiede und Gegensaetze hervorgehoben. Die Zeit ist da, einen gemeinsamen Grund zu finden. Auf diese Weise werden Begegnung, Dialog und Solidaritaet begehbare Wege.

Hoffnungsvolle Neuansaetze duerfen hier erwaehnt werden. Ein flaemischer Schriftsteller, J.Vranckx, schrieb 1991 auf niederlaendisch ein Buch: Pilger einer neuen Zeit, junge Bewegungen in der Kirche (Leuven 1991). Drei Bewegungen will ich hier nennen. Die Focolare-Bewegung versteht es, mit anderen Religionen in Verbindung zu treten und Solidaritaet zu ueben. Da gibt es keine theoretischen Diskussionen ueber das Verhaeltnis zwischen Mission und Dialog. Man arbeitet zusammen, um ganz praktische Probleme zu loesen, und man versucht, einander gerade als Andere zu verstehen.

Eine Bewegung wie Redemptor Hominis kam aus Italien nach Limburg in den Niederlanden und nach Limburg in Flandern, wo die Mitglieder die Neuevangelisierung in schwierigen Umstaenden in die Hand nehmen. Der Gruender, Emilio Grasso, publiziert darueber ein Buch: Lieve Clown, aantekeningen bij de nieuwe evangelisatie, Oegstgeest 1991. Und die Kommunitaet von San Egidio in Rom hat verstanden, was unser Papst 1986 in Assisi vor Augen schwebte, als er mit Vertretern aller Religionen der Welt einen Tag des Fastens und des Betens verbrachte.

Seitdem wird diese paepstliche Initiative von der Kommunitaet San Egidio jedes Jahr weiter gefuehrt: Rom 1987 und 1988, Warschau 1989, Bari 1990 und Malta 1991. Vom 13. bis zum 15. September 1992 wird diese Laiengemeinschaft, die an sozialer Gerechtigkeit arbeitet, in Loewen und Bruessel mit allen Religionen und in Zusammenarbeit mit der christlichen Akademie fuer den europaeischen Dialog beten und fasten und tagen, um Frieden und Gerechtigkeit in Europa aufzubauen. (een-Twee-Een 20 - Utrecht 1992 - nr.7,15). Ich habe nur drei Beispiele gegeben, aber es gibt viele von solchen Laienbewegungen in Europa.

Und auch diese - vielleicht gerade diese - sind Kirche! Kirche ist auch da anwesend, wo junge Menschen als Pilger sich auf den Weg nach Compostella, Chestochowa, Taize oder auf die Adriatische Kueste begeben, um laengere Zeit Erfahrungen auszutauschen, zu beten und neue Initiative zu entwickeln. Es gibt viel Kirche in der Kirche. Und alle diese Bewegungen stimmen darin ueberein, dass sie einfach leben wollen, dass sie solidarisch mit Fremden und Armen sein wollen und dass sie ohne Hintergedanken versuchen, sich positiv in der heutigen Lage Europas zu verhalten. Sie haben ihr eigenes Fremde-sein verstanden und sind imstande, einen gemeinsamen Grund zu finden. In ihnen hat die Umkehr sich vollzogen und wird eine neue Spiritualitaet sichtbar. Es gibt Hoffnung!

Ich werde versuchen, diesen gemeinsamen Grund ein wenig praeziser auszuarbeiten. Alle Menschen leben in derselben Situation des Fremdseins oder der Pilgerschaft. Wir sind alle unterwegs. Alle Religionen haben das verstanden. Die Religionswissenschaft des 19.Jahrhunderts hat den Religionen Namen gegeben und so institutionalisiert.

Es ist hoechst wichtig festzustellen, dass alle Religionen sich als Pfade oder Wege betrachten! Wir besitzen einen gemeinsamen Grund, weil wir alle Pilger auf dem Wege sind. Die Mission Jesu soll innerhalb dieses gemeinsamen Weges verstanden werden. Jesus hat sich nie ausserhalb dieses Weges aufgestellt. Als Logos, als Wort und Geist Gottes ist er Licht der Menschen, ist Sauerteig und Senfkorn. Seine Schaefchen will er von ueberall her sammeln. Ich habe den Eindruck, dass wir hier einen wichtigen gemeinsamen Grund entdeckt haben.

Dieser Entdeckung eines gemeinsamen religioesen Grundes kann noch mehr Inhalt gegeben werden. Der Weg des Menschen fuehrt von hieraus dorthin. Der Mensch ist Pilger sein Leben lang. Alle Menschen moechten diesen Lebensweg derartig gehen, dass sie sowohl hier als auch dort gluecklich sein werden. Und alle Menschen wissen, wieviel Anstrengung und Selbstbeherrschung von ihnen gefordert wird. Wer meint, das heutige Leben so gestalten zu koennen, dass er oder sie hier das vollkommene Glueck und alle Gueter der Welt besitzen wird, wird das Ziel nicht erreichen.

Mit anderen Worten, alle Menschen teilen eine Ethik. Das gehoert zum gemeinsamen Grund und zur menschlichen Solidaritaet. Alle Religionen sind daran interessiert, die Menschen zu lehren, wie man den Egoismus beherrschen kann, wie man der Konsumhaltung entgegentreten kann, und wie man den Egozentrismus bestreiten kann. Die Religionen sind reich an Mitteln, um dieses Ziel zu erreichen: 10 Gebote, Meditation, Teilen, Verzicht oder freiwillige Armut und so weiter.

Das Fasten halten bedeutet mehr, als Geld opfern! Sein altes Ich aufgeben, ein Fremder werden und die Selbstzufriedenheit ablegen sind Voraussetzungen, wenn man mit sich selber und mit den Anderen ins Reine kommen will. Religionen und Lebensanschauungen sind imstande, die Menschen zu befreien. Befreiung soll allumfassend - geistig und materiell - verstanden werden. Als Christen teilen wir mit allen Menschen auch diesen gemeinsamen Grund und wir stehen nicht abseits vom Wege. Isolierung, Ueberlegenheitsgefuehl, Absolutismus und Egozentrismus duerfen von religioesen Menschen - und dies sind wir alle - nicht als Ziele verfolgt werden.

Das Christentum kann Europa eine neue Seele anbieten. Voraussetzung ist, dass die Christen mit Menschen anderer Religionen und Kulturen einen gemeinsamen Grund entdecken und mit ihnen eine neue Gesellschaft aufbauen. Hier liegt die wichtigste Herausforderung unserer Zeit und dies ist, was die jungen Christen und die neuen katholischen Bewegungen in Europa interessiert. Die wichtigste Frage ist nicht: wie ist das Christentum absolut oder wie inkorporieren oder inkulturieren wir die Anderen? Die richtige Frage ist:

wie duerfen wir als Christen inmitten der Anderen und mit den Anderen das Reich Gottes, ein Reich des Friedens, der Liebe, der Einheit und der Gerechtigkeit, aufbauen? Es soll uns reichen, Sauerteig, Licht und Senfkorn zu sein. Diese Mission kann nur mitten unter Anderen bewaeltigt werden. Gestatten Sie mir - weil ich ja Franziskaner bin - am Ende dieses Vortrages mit einem Zitat aus der Regel von 1221 klar zu machen, wie Franz von Assisi damals die Mission oder Sendung seiner Brueder im Lichte des Evangeliums verstanden hat:

"Der Herr sagt: 'Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter Woelfe'. Seid daher 'klug wie Schlangen und einfaeltig wie Tauben' (Mt.10,16). Daher soll jeder Bruder, der unter die Sarazenen und andere Unglaeubige gehen will, mit der Erlaubnis seines Ministers und Dieners gehen. Und der Minister soll ihnen ohne Widerspruch die Erlaubnis geben, wenn er sieht, dass sie tauglich sind, geschickt zu werden; denn er wird dem Herrn Rechenschaft ablegen muessen (vgl. Lk 16,2), wenn er hierin oder in anderen Dingen unueberlegt vorgegangen ist.

Die Brueder aber, die hinausziehen, koennen in zweifacher Weise unter ihnen geistlich wandeln. Eine Art besteht darin, dass sie weder Zank noch Streit beginnen, sondern 'um Gottes willen jeder menschlichen Kreatur' (1 Petr 2,13) untertan sind und bekennen, dass sie Christen sind. Die andere Art ist die, dass sie, wenn sie sehen, dass es dem Herrn gefaellt, das Wort Gottes verkuenden... Und alle Brueder, wo auch immer sie sind, sollen bedenken, dass sie sich dem Herrn Jesus Christus uebergeben und ihm ihre Leiber ueberlassen haben." (Die Schriften des heiligen Franziskus von Assisi, Einfuehrung, Uebersetzung, Erlaeuterungen Lothar Hardick OFM und Engelbert Grau OFM, Werl 1980 6, 187-188).

Wie damals so ist auch heute dieser Vorschlag aktuell. Was soll Neuevangelisierung anderes bedeuten als: die urspruengliche Frohbotschaft unseres Herrn Jesus Christus von allen geschichtlichen Zuwaechsen befreien und ihr eine neue Chance geben? Die Hoffnung auf das Leben kehrt im Lichte des Evangeliums auch in unserer multikulturellen Gesellschaft bei jedem Sonnenaufgang zurueck!

Wijchen, 12.Mai 1992
Prof.Dr.Arnulf Camps OFM.


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