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Christen im Orient: Fallbeispiele aus drei Laendern im Mittelpunkt eines Fachgespraechs der Unionsfraktion
Ein lohnendes Thema sei es gewiss, befand der aussenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Karl Lamers, zum Auftakt eines Fachgespraechs ueber "Christen in islamischen Laendern". Die Aussenpolitiker und die Arbeitsgruppe Menschenrechte der Unionsfraktion hatten in Bonn Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche eingeladen, um sich aus erster Hand einen Eindruck ueber die Existenz von christlichen Minderheiten im Orient zu verschaffen. Denn dass sich die deutsche Politik um die Christen kuemmere, die in islamisch dominierten Laendern leben, sei eine "ethische Selbstverstaendlichkeit", meinte Lamers.
Auf die nuechternen Fakten verweist zunaechst Gerhard Duncker, evangelischer Auslandspfarrer in Istanbul. Mit weniger als einem Prozent an der Bevoelkerung von 60 Millionen sind in der Tuerkei Christen heute eine "Minigruppe". Zum Ende des ottomanischen Reiches waren es noch 40 Prozent, ueberwiegend armenische und griechisch-orthodoxe Christen. Und der Exodus der armenischen, griechisch- und syrisch-orthodoxen Glaeubigen haelt an, weiss Duncker. Die griechisch-orthodoxe Kirche zaehlt gerade noch 2500 Mitglieder, jaehrlich seien bis zu 200 Abgaenge zu verzeichnen.
Was den Christen am meisten zu schaffen macht in der formal laizistischen Tuerkei, seien Unsicherheit ueber ihre Rechte und Irritationen ueber das wenig kalkulierbare Vorgehen von Behoerden, berichtet der Pfarrer. Und er liefert ein Beispiel gleich mit. Wurde der deutschsprachigen Gemeinde ueber lange Zeit, aehnlich wie den Moscheen, ein sehr guenstiger Strompreis eingeraeumt, erhielt sie eines Tages einen neuen, viel hoeheren Tarif berechnet, der sonst nur von Gewerbebetrieben gezahlt wird.
Nicht auffallen, nicht anecken, meint Duncker, sei die Devise, an die sich Christen in der islamisch dominierten Umwelt hielten. Seit 1923 bestehe fuer alle christlichen Kirchen ein Bauverbot, in den Ausweispapieren werde die Religion vermerkt, was nicht selten zur Benachteiligung bei der Arbeitsplatzsuche fuehre. Der Zugang zu hoeheren Raengen im Militar sei Angehoerigen der christlichen Minderheit versperrt, im Parlament und auf Lehrstuehlen gebe es keine Christen.
Alexander von Qettingen, bis vor kurzem Pfarrer der evangelischen deutschsprachigen Gemeinde in Teheran, zeichnet ein differenziertes Bild von der Situation der etwa 200.000 Christen unterschiedlicher Konfessionen, die im Iran leben. Institutionell seien die armenischen und assyrischen Christen zumeist anerkannt, verfuegten ueber Selbstverwaltungsrechte. Die Armenier seien sogar mit einem Abgeordneten im Parlament vertreten. Bei der freien Entfaltung gebe es jedoch Grenzen. Unuebersehbar erfolge eine Aushoehlung dieser Autonomie seit der Revolution 1978/79. Um Schikanen zu vermeiden, haetten sich Christen vielfach eine Doppelexistenz zugelegt. Trotz der Taufe bekennen sie sich oeffentlich zum Islam, um sozialem Druck zu entgehen.
Im Sudan laesst sich nach den Erkenntnissen von Pater Hans Voecking von der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle in Frankfurt am Main eine zunehmende "Arabisierung" der Kirchen beobachten. Christliche Lehrer wuerden durch Muslime ersetzt, auch bei der Ernennung von Richtern haetten Christen kaum noch eine Chance. Selbst beim Import von Messwein saehen sich die etwa zwei Millionen Katholiken in dem von einem 30jaehrigen Buergerkrieg gezeichneten Afrikanischen Land enormen Hindernissen ausgesetzt. Von Religionsfreiheit koenne keine Rede sein, so sein Fazit.
An die Adresse der Politiker aeusserten die drei Kirchenvertreter einen nahezu gleichlautenden Wunsch. Wenn deutsche Delegationen aus Wirtschaft oder Politik in islamischen Laendern Station machten, sollten sie auf jeden Fall Kontakte zu den christlichen Gemeinden suchen. Fuer das Selbstvertrauen dieser Minderheiten sei dies wichtig, und auch bei den Politikern islamischer Laender wuerden solche Gesten aufmerksam zur Kenntnis genommen.
Welche Folgerungen die Unionspolitiker ausser allgemeinen Toleranz- und Dialogappellen aus den Erfahrungsberichten ziehen werden, blieb offen. Der Abgeordnete Heinrich Lummer jedenfalls liess erkennen, dass die Religionspolitik in der Tuerkei ihrem Beitrittsbegehren zur EU nicht gerade foerderlich ist.
Quelle: Sonntagsblatt 28.Juni 1998, Seite 4
Tilmann Steinert, Am Schenkenfeld 23, 97209 Veitshoechheim, 26.Juni 1998.
zu: Privat Christ - oeffentlich Moslem im (Sonntagsblatt 28.6.98/26).
Ich finde es gut, dass Politiker mit Auslandspfarrern gesprochen haben, ich finde es auch gut, dass das Sonntagsblatt von diesem Gespraech berichtet hat. Ich halte allerdings die dabei geaeusserten Meinungen - zumindest was die Tuerkei betrifft - fuer zu undifferenziert und moechte deshalb einiges aus meiner Erfahrung dazu berichten.
Es gibt an vielen Orten in der Tuerkei Kirchen, in denen ungehindert (und mit Glockengelaeute) Gottesdienst gefeiert werden kann. Ich habe oft in Istanbul, Mersin und Antakya gut besuchte Gottesdienste erlebt. In Mersin wurde in den letzten Jahren ein grosses Gemeindezentrum errichtet. Dort habe ich es auch erlebt, dass der Pfarrer mit einer Jugendgruppe eine Freizeit abgehalten hatte und dann mit den jungen Leuten eine Art Familiengottesdienst gehalten hat.
Ich kenne in Mersin und Istanbul die christlichen Buchhandlungen, die voellig frei ihre Literatur verkaufen koennen. Interessant ist, dass dahin auch immer wieder Moslems kommen, um sich zu informieren. Es gibt viele Moslems, die sich ein objektives Bild vom Christentum machen wollen, auch ich werde immer wieder nach Glaubensinformationen gefragt - offenbar traut man haeufig dem nicht so recht, was man im Unterricht ueber die fremde Religion gelernt hat.
Ich habe immer wieder Christen gefragt, ob fuer sie der Militaerdienst sehr schwer gewesen sei. Die aelteren Maenner erklaerten meistens, sie seien schon sehr schikaniert worden. Die Juengeren dagegen meinten alle, ausser wenn man einen fanatischen Spiess habe, gebe es keinerlei Probleme. Dazu passt es, dass ich im tuerkischen Fernsehen einmal gesehen habe, wie ein junger Mann sich bei einer Quizsendung als Christ zu erkennen gab und dafuer spontan anerkennenden Beifall bekam. Auch dass viele Frauen oeffentlich ein Kettchen mit einem Kreuz tragen, spricht dafuer, dass die allgemeine Meinung nicht so sehr christenfeindlich sein kann.
Ein Fall fuer sich sind allerdings die Armenier, doch das ist eine politische Frage. Schon zum Ende des letzten Jahrhunderts tendierten die Armenier in Anatolien dazu, sich von der Tuerkei zu loesen und an Russland anzuschliessen. Der Bombenanschlag einer armenischen Terrorgruppe auf den Flughafen in Ankara in den Siebzigerjahren hat den alten Hass wieder in Erinnerung gebracht. Ein nicht gerade unglaubwuerdiges Geruecht behauptet nun, die kommunistische Guerillabewegung PKK sei stark armenisch unterwandert; auch das ist natuerlich nicht dazu angetan, die Armenier in der Tuerkei beliebt zu machen. - Die wenigsten Tuerken wissen uebrigens, dass die Armenier Christen sind. Ich wurde oft gefragt, ob ich Armenier oder Christ sei.
Das eigentliche Problem scheint mir die unterschwellige Diskriminierung des christlichen Glaubens zu sein. "Seit Mohammed bis in die osmanische Zeit hinein ertoente dieser Ruf (des Koran) unentwegt", war vor kurzem in einer tuerkischen Zeitung zu lesen. Man denkt ueber uns Christen so, wie wir Christen viele Jahrhunderte ueber die Juden gedacht haben (und gelegentlich noch denken): Sie seien rueckstaendig und verstockt, weil sie die neue, letzte Offenbarung Gottes zwar kennen, aber nicht annehmen wollen. Doch gegen dieses Vorurteil helfen keine politischen Aktionen, sondern nur permanente Bereitschaft zu freundlichem aufklaerenden Gespraech. Wenn dagegen auf unserer Seite neue Vorurteile gepflegt werden sollten, wuerde das nur die Situation verhaerten - und damit letzten Endes unseren christlichen Bruedern und Schwestern im Nahen Osten mehr schaden als nuetzen.
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