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Christlich-Islamische Gesellschaft e.V.
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Guenther B. Ginzel

Zum Miteinander von Juden, Christen und Muslimen in Deutschland

- ein Beitrag aus juedischer Sicht -

Vorbemerkung

Angesichts der Komplexitaet des Themas konzentriere ich mich auf einige Aspekte, um das Verhalten von Juden in Deutschland in Bezug auf den Dialog mit Christentum und Islam zu verstehen.

Dabei geht es mir nicht um den moeglichen Beitrag des Judentums zur Foerderung von Frieden und Gerechtigkeit in der Welt, auch nicht um die Bemuehungen Einzelner oder die Arbeit von Komion Komitees, die unter Ausschluss der breiten Juedischen Oeffentlichkeit das Gespraech etwa mit dem Vatikan pflegen, auch nicht um spektakulaere Aktionen wie die Treffen des Papstes mit Vertretern des Judentums
(die als solche durchaus einen Meilenstein in den christlich-juedischen Beziehungen markieren, wobei es nicht wenig pikant ist, wie die Eitelkeit auch solche Funktionaere zu diesen Treffen treibt, die ansonsten den Dialog in ihren Gemeinden mit Gleichgueltigkeit zu begleiten pflegen oder sogar zu minimieren suchen),
sondern um die Tatsache, dass die Chancen des religioesen Dialogs nicht oder kaum genutzt werden. Demgegenueber fehlt es nicht an Kontakten und Formen der praktischen Zusammenarbeit im sozialen, kulturellen und politischen Bereich.

Christlich-juedischer Dialog

Die Zurueckhaltung der meisten Juden, sich am christlich-juedischen Gespraech zu beteiligen, die Skepsis in Teilen der Rabbinerkonferenz gegenueber dem Dialog und die Selbstbeschraenkung vieler Gemeindefunktionaere auf die Wahrnehmung offizieller Termine wie Gedenktage, Eroeffnung der Woche der Bruederlichkeit, Benefizveranstaltungen juedischer Organisationen, und so weiter soll im folgenden auf ihre Ursachen hin untersucht werden.

Das christlich-juedische Gespraech, wie wir es heute kennen, ist ein Kind der Neuzeit, denn die mittelalterlichen Disputationen koennen nicht als Vorlaeufer gelten, waren sie doch mit Zwang verbunden. Generell laesst sich vereinfachend sagen, dass in Vergangenheit und Gegenwart ein hoechst unterschiedliches Interesse Christen und Juden zusammenfuehrt.

Die christliche Seite suchte und sucht im Kennenlernen des Judentums nicht nur ein besseres und tieferes Verstaendnis fuer das Judentum im allgemeinen, sondern hofft auf diesem Weg ueber die Begegnung mit der juedischen Wurzel auf einen Glaubenszugang, der im Resultat eine Staerkung der christlichen Identitaet bewirkt. Der zeitgenoessische Jude wird dabei zwangslaeufig instrumentalisiert (manchmal voller Unschuld) und auf die Rolle der Verkoerperung einer laengst vergangenen Epoche fixiert.

Daneben entwickelt sich ein wissenschaftliches Interesse, das oft mit dem zuvor Gesagten korrespondiert. Manche aus diesem Kreis haben ihr Wissen genutzt, um die juedische Religion zu diffamieren (Eisenmenger, Rohling, Ecker), andere haben den juedischen Kult und die juedische Religion vehement gegen diese Angriffe verteidigt (Strack, Wuensche sowie Mitglieder des christlich dominierten Vereins zur Abwehr des Antisemitismus).

Bei allem Verstaendnis fuer das Judentum ist in der Vergangenheit bis heute ein Bemuehen erkennbar, das Neue, Andere, oft auch das Schoenere und Bessere ( eben die neue Ethik und die neue Moral) im Christlichen zu suchen, das sich vom Juedischen Fortschritt heischend absetzt und somit den eigenen, christlichen Weg legitimiert.

Damit wird das charakteristische Ungleichgewicht im christlich-juedischen Verhaeltnis deutlich, das nicht nur eines der Mehrheit gegenueber der Minderheit ist, sondern eines, in dem - zumindest in der Vergangenheit - die Mehrheit sich als christlich und damit religioes und sittlich ueberlegen empfand. Bis in die erste Haelfte des 20. Jahrhunderts hatte dies zur Folge, das die christliche Gesellschaft Nichtchristen, insbesondere Juden, die Anerkennung als gleichwertige und gleich zu behandelnde Menschen verweigerte.

Die Kirchen wurden von Juden guenstigstenfalls als an ihrem Schicksal desinteressiert empfunden. Zudem agierten immer wieder Kleriker und v.a. sich christlich nennende Parteien und Verbaende auf der Seite der antisemitischen Scharfmacher. Als Relikt hat sich in diesem Sinne die Weigerung der deutschen Schuetzenbruderschaften erhalten, unter Hinweis auf ihre christliche Grundeinstellung Juden wie Muslimen die Mitgliedschaft zu gewaehren.

Hinzu kommt das Aergernis der Judenmission. In Deutschland - anders als in Polen - ein vorwiegend protestantisches Phaenomen. Derlei missionarische Aktivitaeten haben das christlich-juedische Verhaeltnis nachhaltig getruebt. Auf evangelischer Seite existieren eine Reihe von Judenmissionsgesellschaften. Sie haben bis in die 30er Jahre hinein aktiv Juden zum Christentum zu bekehren gesucht, was heute subtiler geschieht (etwa mit den Argument: Wer wahrhaft Jude sein will, muss Christ werden oder dem Hinweis, es muesse doch erlaubt sein, "Zeugnis abzulegen").

Schlimmer als diese Versuche war allerdings das theologische Weltbild, das sie zu diesem Tun veranlasste. Sie verurteilten das Beharren der Juden auf das Festhalten am Sinaibund im Sinne der traditionellen antijuedischen Theologie als verstockt und christusfeindlich.

Die Gleichsetzung von Christentum und Deutschtum fuehrte auch noch nach der erfolgten Emanzipation der Juden zu ihrer fortgesetzten Diskriminierung in weiten Teilen der Gesellschaft, insbesondere im Bereich von Universitaet und Militaer.

Das christlich gepraegte Feindbild "Jude" wurde darueber hinaus politisch gegen alle Weltanschauungen und Bestrebungen eingesetzt, die als gegen die bestehende, christlich gepraegte Ordnung gerichtet verstanden wurden. So konnten die Auswuechse der Industrialisierung und des Kapitalismus ebenso als "juedisch" verdammt werden, wie die Bemuehungen der Arbeiterbewegung um soziale Gerechtigkeit. Sowohl im katholischen (Bischof Kettler) als auch im protestantischen Bereich (Stoecker) wurde der Antisemitismus gezielt eingesetzt, um Einfluss auf das sich zunehmend von der Kirche abwendende Proletariat zu gewinnen.

Die juedische Seite hatte daher ein dominant politisches Interesse, sich mit christlicher Religion und christlichen Theologen auseinanderzusetzen. Sie verteidigte einerseits den eigenen juedischen Weg, enthuellte antijuedische Fehlurteile und musste zugleich den Versuch unternehmen, das Judentum als einen fuer Juden nicht nur richtigen und notwendigen Weg zu rechtfertigen, sondern darueber hinaus die ethische und moralische Gleichwertigkeit mit dem Christentum zu belegen.

Das - plakativ ausgedrueckt - "Gespraech mit dem Christentum" hatte fuer Juden stets den Charakter der Verteidigung und war, wie das Verhalten der Kirchen und vieler Christen im Dritten Reich bewies, weitgehend erfolglos.

Wer sich die Auseinandersetzungen in der Bekennenden Kirche zur "Judenfrage", die teilweise Bejahung Luthers "scharfer Barmherzigkeit" noch in den Jahren 1936/37, die verbreitete Akzeptanz der Ausgrenzung nicht getaufter Juden in Erinnerung ruft, wer die Adventspredigten Kardinal Faulhabers 1933 betrachtet, die einer oeffentlichen Distanzierung von den verfolgten Juden gleichkam (bei gleichzeitiger Verteidigung des antiken Judentums, soweit es fuer das Christentum von Belang war), der begreift die Tragik der Vertreter des deutschen Judentums, die vor dem Machtantritt der Nazis geradezu verzweifelt bemueht gewesen waren, die Kirchen zur Solidaritaet zu bewegen. Mehr als Schweigen war von diesen Kirchenchristen nicht zu erwarten (von heroischen Ausnahmen abgesehen, die zu Recht als Grundlage eines erneuerten Verhaeltnisses betrachtet werden).

Die historische Erfahrung, "von den Kirchen kann nichts Gutes kommen" sitzt tief und blockiert bis heute ein offenes Zugehen auf Christen im Bereich des Religioesen. Fuer viele Juden ist zwar die Besichtigung einer Kirche als Kunstraum ueblich, nicht aber die Teilnahme an einer Veranstaltung unter dem Kreuz. Es soll niemanden verletzen, doch fuer die wohl meisten Juden symbolisiert gerade das Kreuz Verfolgung und Entrechtung. Das Selbstverstaendnis, in manch einer christlichen Akademie mit dem Kreuz ueber dem Bett zu schlafen, fehlt vielen Juden.

Die Themen des Dialogs werden nach wie vor von der christlichen Mehrheit formuliert. Juedische Interessen und Fragen bleiben meist aussen vor. Die Funktionalisierung der Juden im Dialog ist nicht zu leugnen. Sie haben bestimmte, von christlichen - nicht von juedischen - Beduerfnissen diktierte Felder zu besetzen. Sie dienen dem Verstaendnis der Lebens- und Glaubensumstaende Jesu und der Apostel. Sie sind das die Vergangenheit beschwoerende Opfer, der Zeitzeuge, der Mahner. In all diesen Faellen werden sie in ein Gefaengnis des Vergangenen gesperrt.

Christlicherseits wird in der Regel der Dialog von Theologen, Professoren und Geistlichen, Priestern dominiert. Die juedischen Partner kommen nur zum geringen Teil aus Wissenschaft und Rabbinat. Das hat durchaus Auswirkungen. Sie sprechen anders und bevorzugen andere Themen. Juedische Beitraege sind in der Regel an der Praxis orientiert. Juden insgesamt sind an den Themen der christlichen Freunde wenig bis ueberhaupt nicht interessiert. Ohne verletzen zu wollen, moechte ich doch in aller Deutlichkeit sagen: Mein Interesse an Person und Lehre Jesu ist nicht im Ansatz repraesentativ! Fuer den durchschnittlichen Juden ist Jesus weder als "Mitjude" noch sonstwie wichtig. Nur wenige Juden haben im Sinne von Leo Baeck die Evangelien als eine Quelle juedischer Geschichte entdeckt. Um Judentum zu eroertern, beduerfen Juden nicht "christlicher Quellen". Das macht ein dramatisches Ungleichgewicht aus.

Wenn sich Juden mit dem Neuen Testament beschaeftigen und ihre Kenntnis im Dialog einbringen, dann ueberwiegend aus politischen Gruenden im Sinne der Bekaempfung von Falsch- und Fehlurteilen.

In der Tat - und das haben die Juedischen Gremien bislang viel zuwenig realisiert - wurde auf diesem Sektor von den wenigen juedischen Partnern einiges an Verstaendnisarbeit geleistet. Wenn ich die von mir mit aufgebaute Lehrerfortbildung auf diesem Sektor im Bereich Koeln betrachte, dann kann nach 20 Jahren festgestellt werden, dass diese Arbeit Fruechte getragen hat.

Doch zukunftsorientierte Fragen der Okologie, der sozialen Gerechtigkeit und des Frieden, Fragen der Ethik, die sogenannte Werte-Diskussion, sie werden von Ausnahmen abgesehen ohne juedische Beteiligung diskutiert. Lebt nicht auch auf diesen Feldern die christliche Tradition weiter, wonach man selbst den Fortschritt und die Zukunft repraesentiert, das Judentum aber die Vergangenheit?

Selbstkritisch ist anzufuegen, dass diese Haltung auch zu einer gewissen Bequemlichkeit verfuehrt. Die negativen Nachrichten werden schnell als glaubwuerdig eingestuft und als Bestaetigung empfunden. Dies schraenkt die Bereitschaft ein, die zum Teil dramatischen Aenderungen der kirchlichen Positionen gegenueber der Synagoge wahrzunehmen oder als das zu werten, was sie sind: der Versuch einer neuen Theologie gegenueber dem Judentum.

Die Ursache fuer dieses Defizit ist auch eine Folge des Jahrzehnte langen Fehlverhaltens im organisierten christlich-juedischen Dialog! Die Christliche Mehrheit suchte sich ihre jeweiligen juedischen Partner. Das fuehrte zu Missstaenden, die den Mangel an juedischen Partnern verstaerken:

So mieden viele christliche Kreise Juden aus den Gemeinden vor Ort. Die subtil antisemitische Gleichsetzung des Juden mit dem Fremden fuehrte dazu, dass als "wahrhaft juedisch" auslaendische Juden, vor allem solche aus Israel galten. Diese wurden ueber Jahre hinweg fuer viel Geld eingeflogen. Jetzt, wo sie diese Reisen aus Altersgruenden immer seltener unternehmen koennen, faellt der juedische Partner im Dialog praktisch aus. Man hat weder Kontakte noch eine Vorstellung, wo und wie Juden in Deutschland leben.

Nach wie vor, sogar mit zunehmender Tendenz, spielen Kirchengemeinden Judentum. Hier ist der juedische Partner ueberfluessig, ja stoerend. In wohl hunderten von Gemeinden hat es sich eingebuergert, das Osterfest mit einem Sederabend einzuleiten. Das Gefuehl einer Grenzueberschreitung und einer Anmassung ist meist nicht vorhanden.

Zu sehr ist man auf Vertreter des Reformjudentums fixiert, die als flexibler eingestuft werden. Dies ist ein Missstand, denn auf diese Weise wird die juedische Pluralitaet eingeschraenkt. Zudem ist es ein Vorurteil, dass Vertreter der Orthodoxie generell den Dialog ablehnten, dass keine Rabbiner aus dem Bereich der Tradition gespraechsbereit seien. Wohl aber ist inhaltlich und praktisch der Umgang mit ihnen schwieriger, weil sie bestimmte Positionen nicht aufgeben oder aufweichen koennen. Das gilt besonders fuer den Schabbat. Bis heute ist die christliche Mehrheit des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften fuer christlich-juedische Zusammenarbeit nicht bereit, die Tagungen so zu legen, dass sie nicht auf den Schabbat fallen.

In der Ausbildung von Theologen und Paedagogen ist es nach wie vor usus, dass Christen Judentum lehren, von einigen Fakultaeten und Hochschulen abgesehen. Hier faellt die Diskrepanz auf, dass nirgends Juden als Lehrer und Erklaerer christlicher Theologie auftreten, wohl aber Nichtjuden mit grosser Selbstverstaendlichkeit Judentum lehren.

Diese Erscheinungen verstaerken ein Gefuehl in den Gemeinden, dass zwar viele Christen wohlmeinend sind, letztlich aber ein juedischer Einsatz, der auch authentisch ist, nicht gefragt sei. Hier braucht nicht diskutiert zu werden, dass dies in dieser Pauschalitaet falsch ist.

Die Formulierung durchaus berechtigter juedischer Zweifel, wie weit und wie tief der christliche Umkehrprozess gegenueber dem Judentum verlaeuft, sollte nicht als Alibi fuer Denkfaulheit missbraucht werden. Auch in den Gemeinden ist Lernen angesagt. Es reicht nicht, Besucher bei Fuehrungen zu begruessen und sicherzustellen, dass die Mitglieder der Gesellschaften fuer christlich-juedische Zusammenarbeit den Wizo-Basar fuellen. Mehr Engagement ist einzufordern!

Juden - Muslime

Von individuellen Ausnahmen abgesehen, ueberwiegen auf beiden Seiten Unkenntnis, Misstrauen, Zurueckhaltung. In der Erinnerung des juedischen Volkes lebt allerdings das Bild der einzigen gelungenen Symbiose fort: der islamisch-juedischen im maurischen Spanien. Wenn auch unter Muslimen oft ein verklaertes Bild der eigenen Geschichte anzutreffen ist, so ist es dennoch richtig, dass dort, wo Muslime die Macht hatten, das Leben von Juden - zwar nicht generell ohne Verfolgungen, auch nicht ohne antijuedische Restriktionen verlief - doch im Vergleich zum christlichen Abendland mit seiner tausendjaehrigen Verfolgungsgeschichte ueberwiegend von Toleranz und Duldung gepraegt war. Auch ist die Stellung der Tuerkei auf der Werteskala von Juden hoch anzusetzen. Hatten doch die Osmanen vor einem halben Jahrtausend zahllose Vertriebene aus Spanien aufgenommen und waehrend des Dritten Reichs hatte die Tuerkei einen erheblichen Anteil an den Rettungsbemuehungen osteuropaeischer Juden.

Dennoch waere es aus meiner Erfahrung voellig verfehlt, die oft tiefsitzenden religioesen Vorbehalte gegenueber Juden zu unterschaetzen. Aufgeklaerte Juden stossen hier immer wieder an Grenzen. Konkretes Beispiel: ein l2jaehriger in Koeln, der in diesem Monat seine Bar mizwa feiern wird, hat seine besten Freunde dazu in die Synagoge eingeladen. Darunter 6 tuerkische Muslime. Nur zwei seiner muslimischen Freunde werden kommen. Den anderen haben die Eltern das Betreten einer Synagoge verboten.

Nicht gering zu achten ist die Tatsache, dass beide Seiten im Nahostkonflikt zumindest emotional Partei ergreifen. Von daher existieren starke politische Interessen, die Ansaetze zum Miteinander herunterzuspielen. Die Tatsache etwa, dass es juedische Uberlebende der Schoah waren, die zu den ersten zaehlten, die zur Solidaritaet mit den bosnischen Muslimen aufriefen, dass eine juedische Delegation unter Fuehrung von Elie Wiesel das fruehere Jugoslawien bereiste, um die bosnisch-muslimischen Gefangenen aus den serbischen Lagern zu befreien, die Rettungsaktionen der israelischen Armee, die Muslime ausflog, dies alles wurde in der islamischen Welt nach meiner Kenntnis weitgehend negiert. Die muslimischen Fluechtlinge in Israel trafen auf den Boykott aller arabisch-muslimischen Einrichtungen in Israel und mussten in juedischen Kibbuzim untergebracht werden. Beispiele, die zeigen, in welchem Ausmass der Nahostkonflikt, der auf beiden Seiten zudem starke religioese Zuege traegt, das muslimisch-juedische Verhaeltnis belastet.

Juden in Deutschland fuehlen sich durch arabische und muslimische Terroristen bedroht. In der Tat hatte es in der Vergangenheit eine Fuelle von blutigen Anschlaegen auf juedische Einrichtungen in Europa seitens arabischer und palaestinensischer Gruppierungen gegeben. Allein die Synagoge in Wien wurde zweimal in Brand gesetzt.

Es ist in diesem Kontext nicht verborgen geblieben, dass antisemitische (europaeische) und muslimisch fundamentalistische Vorurteile sowohl von Vertretern der extremen Linken, der palaestinensischen Ablehnungsfront, als auch von tuerkisch-nationalistischen Gruppierungen geschuert werden. Von der Agitation aus dem iranischen Umfeld, in die auch die Botschaft verwickelt ist, ganz zu schweigen. Auf den Punkt gebracht: Es existiert eine antijuedische Propaganda, die es vielen Muslimen, die den Dialog suchen, oft recht schwer macht. Extreme tuerkische Zeitungen pflegen eine nationalistische, antiisraelische und antijuedische Hetze, die erstaunlicherweise bislang keinen Staatsanwalt auf den Plan gerufen hat.

Diese Tatsachen ueberschatten leider eine entgegengesetzte Entwicklung: Die Bereitschaft zum Dialog waechst! Auf kaum einem anderen Gebiet vermag der Dialog langfristig so segensreich und friedensfoerdernd zu wirken, wie auf dem des muslimisch-juedischen Gespraeches. Die Hemmungen sind zu ueberwinden und nach meiner Erfahrung ist danach die Ueberraschung gross, wie nah man einander ist. Nur eine wechselseitige Anerkennung der jeweiligen religioes gepraegten Identitaeten wird dem Nahen Osten letztlich Frieden bringen und eine Loesung der Jerusalemfrage herbeifuehren. Die Feindschaft religioes voelkischer Gruppierungen auf allen Seiten zwingt die tolerant Gesinnten geradezu, das Gespraech miteinander zu suchen.

Dass intellektuelle Juden, die auf der juedischen Seite federfuehrend das interkonfessionelle Gespraech in Deutschland bestreiten, grundsaetzlich solidarisch sind, wenn es gilt, Muslime in Deutschland vor auslaenderfeindlichen Angriffen zu schuetzen, ist selbstverstaendlich.

Leider hatte der christlich-islamische Dialog bislang die Wirkung, den juedischen Partner aussen vor zu lassen. Doch auch hier bahnt sich ein Umdenken an. Erstmals ist es der AG Christen - Muslime in diesem Jahr gelungen, die massiven Widerstaende zu ueberwinden und das Gespraech der abrahamitischen Religionen auf dem Leipziger Kirchentag zu etablieren.

Politisch koennte das Dreiergespraech Muslime - Christen - Juden vielleicht wichtiger werden, als die bisherigen Zweierveranstaltungen. Und zwar aus den wohlverstandenen inneren Interessen der Bundesrepublik als auch mit Blick auf die muslimische Welt. Wenn nicht hier unter den toleranten Bedingungen des Rechtsstaates solch ein Dialog zustande kommt, wie dann in anderen Regionen der Welt, die von offenen Konflikten und Buergerkriegen geschuettelt werden?

Juden in der deutschen Gesellschaft

Durch die Geschichte, die Schoah, ist den juedischen Politikern eine besondere Rolle zugewachsen. Die Rolle desjenigen, der moralische Kraft in die Tagespolitik einbringt. Repraesentanten der juedischen Gemeinschaft stehen in der nicht-juedischen Gesellschaft im Schatten von Auschwitz. Aber, sie werden durch die Vergangenheit auch aufgewertet: denn stets repraesentieren sie auch die einst 500.000 deutschen Juden mit.

Die Aufbaujahre 1945 - 1965

Was sich nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Mai 1945 sammelte, das waren kranke, erschoepfte Menschen, die das Grauen der systematischen deutschen Judenvernichtung ueberlebt hatten. Die Mehrzahl der etwa 200.000 Ueberlebenden waren keine urspruenglich deutschen Juden, es waren sogenannte displaced persons - DPs - ueberwiegend aus Osteuropa verschleppte Menschen. Sie waren in Sammellagern zusammengefasst worden. Das deutsche Judentum zaehlte 1933 499.682 Gemeindemitglieder - es existierte nicht mehr. Die Zahl derer, die auf deutschem Boden in der Illegalitaet haben ueberleben koennen, wird auf 15.000 geschaetzt, allein 5.000 im Bereich von Grossberlin. Gemeinsam mit den Rueckkehrern aus den Lagern und den ersten Remigranten wurden 1945 rund 20.000 urspruenglich deutsche Juden gezaehlt.

Die Ueberlebenden wurden betreut von American Joint, einer juedischen Hilfsorganisation, vom britischen Pendant, der Jewisch Relief Unit und von zionistischen Organisationen, die fuer die meisten den Weg in das damalige Palaestina ebneten.

Die Gemeinden, die in den ersten Monaten nach der Befreiung entstanden, verstanden sich einerseits als eine Hilfsstation zur Linderung von materiellen und geistigen Noeten und (andererseits) als Durchgangsstation auf dem Weg in das bald gegruendete Israel.

Mehrere Fluechtlingswellen loeste der osteuropaeische - insbesondere der polnische -Antisemitismus unter den ueberlebenden KZ'lern aus. Auch sie fuehrte der Weg in die Freiheit in aller Regel ueber Deutschland.

Die etwa 60 DP-Lager leerten sich ueberraschend schnell. Nur rund 15.000 Menschen blieben in Deutschland zurueck, die anderen wanderten nach Palaestina, in die USA oder sonstwohin, nur weit weg von Deutschland.

SBZ-DDR

Eine andere Entwicklung nahm die Sowjetisch Besetzte Zone und spaetere DDR. Sie zog schaetzungsweise 5.000 juedische Sozialisten und Kommunisten an, die aus den Laendern des Exils sehr bewusst nach Deutschland zurueckkehrten, und zwar in den sich dezidiert als antifaschistisch verstehenden Teil Deutschlands. Ihre Bindungen an das Judentum waren, ganz anders als die der Menschen in den DP-Camps, marginal. Anders als die in Westdeutschland lebenden Juden kannten die allermeisten Juden in der DDR weder ein schlechtes Gewissen ob ihrer Rueckkehr und ihres Lebens in Deutschland noch das Syndrom, auf gepackten Koffern zu sitzen. Nur relativ wenige mehr oder minder religioes eingestellte Juden fanden sich in den kleinen Gemeinden zusammen. Aber: Sie garantieren nicht nur die Moeglichkeit eines juedisch religioesen Lebens in den Grossstaedten der DDR, sondern bewahrten - ganz im Gegensatz zum Westen - sehr bewusst Idiomatik und Tradition des deutschen, meist des liberal-konservativen Judentums. Auf diese Weise haben sie ihren Beitrag zum Erhalt einer synagogalen Kulttradition geleistet, die in Westdeutschland mit Ausnahme von Berlin weitgehend erloschen ist.

Die Probleme, die Juden mit der DDR hatten, waren ueberwiegend die, die alle Buerger hatten. Antisemitische Wellen, von denen des Spaetstalinismus abgesehen, blieben in der DDR aus. Es ist zwar heute hoechst unpopulaer, dergleichen festzustellen, doch hatten die Juden der DDR nicht das Problem der Angst vor Neonazis, wie es im Westen mit den bereits in den 50er Jahren sich wieder etablierenden Neo-Nationalsozialistischen Parteien, die teilweise in die Landtage einziehen konnten und ueber kurz oder lang verboten wurden (Sozialistische Reichspartei). Fuer sie - und das fuehrte zu einer grossen Auswanderungswelle - dominierte die Enttaeuschung, dass der real existierende Sozialismus der DDR nicht der ihrer Traeume war.

Juden in Deutschland - Juden in aller Welt

Wer sich die enorme Zahl der vielen hundert Friedhofsschaendungen seit 1945 in Westdeutschland vor Augen fuehrt, der kann erahnen, wie umstritten die neuerliche Etablierung juedischen Lebens auf deutschem Boden war und teilweise noch ist. Die in Deutschland lebenden Juden bekamen damals den Widerstand und die Verachtung der Mehrheit aller Juden ausserhalb Deutschlands zu spueren.

Doch der Aufbau der Gemeinden ging voran. Die meisten Ueberlebenden lebten in der Illusion, nur kurzfristig weiterhin im Land der Taeter zu weilen, letztlich aber auszuwandern. In diese Zeit faellt die erste deutlich spuerbare Rueckwanderungswelle von Juden, die wegen der sich teilweise kompliziert gestaltenden und oft ueber Jahre hinziehenden Abwicklung der sogenannten Wiedergutmachung nach Deutschland reisten und schliesslich hier blieben. Die Familien zogen nach und blieben, vor allem, wenn sie aus Israel kamen, mit schlechtem Gewissen hier.

Die Konsolidierungsjahre 1967 - 1987

Zeitgleich mit dem Aufbegehren der Studenten 1967 und 1968 begann in der juedischen Gemeinschaft die Phase der Konsolidierung. Zum ersten Mal setzte sich die juedische Nach-Holocaust-Generation offen mit ihrer Identitaet auseinander. Fuer die etwa Zwanzigjaehrigen stellte sich die konkrete Frage nach der zukuenftigen Lebensfuehrung: in Deutschland bleiben, oder wie sie es oft von ihren Eltern gehoert hatten, auswandern?

Die meisten blieben, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Studentenbewegung damals, die sehr bewusst gegen die nazistischen Kontinuitaeten, auch und gerade an mancher Universitaet, angingen. Eine studentische, nicht-juedische Generation dokumentierte, dass eine neue, nicht-faschistische Generation in Deutschland herangewachsen war.

Es begann eine Zeit, in der viele Synagogen gebaut, Gemeinden erweitert wurden. Doch die Zahl der Juden blieb gering. Sie lag ueber Jahre hinweg weitgehend konstant bei etwa 30.000.

Jahre des Umbruchs 1988 - 1995

Im Jahr 1988 erlebte der Zentralrat der Juden in Deutschland seinen groessten Skandal. Nach dem Tod Werner Nachmanns, des langjaehrigen Vorsitzenden des Direktoriums, kam zutage, dass er Millionen Mark veruntreut hatte. Vollstaendig aufgeklaert konnt die Unterschlagung und die Verwicklung staatlicher Stellen nicht werden, trotz aller Bemuehungen des neu gewaehlten Direktoriumsvorsitzenden Heinz Galinski.

In den Jahren 1988 bis 1992 bestimmte die juedische Politik in Deutschland der Auschwitzer Heinz Galinski, der mit heftiger, von vielen als schroff empfundener Kritik an rechtsextremen, auslaenderfeindlichen und antisemitischen Vorkommnissen nicht sparte. So endete jaeh die Ara Nachmann, die eine der Unauffaelligkeit und der Kooperation mit den Maechtigen war. Neues Selbstverstaendnis und Selbstbewusstsein wurde praktiziert. Die Zeit der gepackten Koffer neigte sich ihrem Ende zu.

Die zweite grosse Herausforderung kam 1989 mit dem Fall der Mauer, Viele Juden im Westen begruessten es, dass ein Unrechtsstaat verschwand, der sich stets als Gegner Israels und Freund seiner Feinde verstanden hatte. Auf der anderen Seite gab es die Angst vor einem vereinigten Deutschland, einem neuen Grossdeutschland, das zumindest seine Vergangenheit und die damit verbundene Verantwortung vergessen koennte. Unter Heinz Galinski tagt erstmals der Juedische Weltkongress in Deutschland. Die Delegierten waren sichtlich beeindruckt von den Repraesentanten der demokratischen noch-DDR unter demokratisch legitimierter Fuehrung. Die Erklaerung der Volkskammer zur bleibenden Verantwortung und das Ausbleiben grossdeutscher Gelueste haben nachhaltig die Aengste, die bestanden, minimiert.

Innerjuedisch begann der Prozess der Vereinigung der juedischen Gemeinden der ehemaligen DDR mit denen des Westens. Schmerzlich verlief dieser Prozess in Berlin. Auch juedische Politiker, sicher auch Heinz Galinski, bewiesen nicht immer das notwendige Feingefuehl.

Mit dem damaligen Sekretaer des DDR-Gemeinbundes, Peter Fischer, fuehrte Micha Guttmann als Generalsekretaer des Zentralrats in kurzer Frist die bestehenden Gemeinden in Berlin-Ost, in Leipzig, Dresden, Erfurt, Halle und Magdeburg in die juedische Gemeinschaft in Deutschland. Heute sind sie auf Landesebene Mitglied im Zentralrat.

Zuwanderung von Juden aus der GUS

Die Jahre 1988 bis 1992 waren auch in diesem Sinne eine Umbruchzeit. Ziel juedischer Politik war es, die juedische Gemeinschaft durch den Zuzug aus der ehemaligen Sowjetunion zu staerken und gleichzeitig der Gemeinschaft Ansehen und Einfluss in einem neuen, groesseren Deutschland zu verschaffen.

Nach dem Tode Galinskis im Juli 1994 setzte Ignatz Bubis die Linien Galinskis konsequent fort. Wenn auch sein Auftreten in der Oeffentlichkeit oft verbindlicher erscheint, als das Heinz Galinskis in seiner eher asketischen Art und Strenge. Doch in ihren politischen Aussagen unterscheiden sich beide nur in Nuancen. Auch Ignatz Bubis hat auf auslaenderfeindliche und antisemitische Gewaltakte in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik schnell und eindeutig reagiert. Durch sein gesellschaftspolitisches Engagement wurde er zu einer moralischen Institution in Deutschland.

Vieles hat sich, von einer breiten Oeffentlichkeit unbemerkt, veraendert. Wohl nie zuvor in der juedischen Geschichte Deutschlands hat der Mann an der Spitze in diesem Umfang das Gespraech mit Nichtjuden gesucht. Er selbst schaetzt, dass er bislang mit hunderttausend Jugendlichen zusammengetroffen ist.

Mit politischen Parteien, Ministerien, Gewerkschaften und auch den Vertretern der Kirchen ist der Zentralrat in kontinuierlichem Kontakt. Doch all diese Aktivitaeten sind politisch, nicht religioes motiviert.

Durch die Zuwanderung der Juden aus den Laendern der GUS waechst die Zahl der Juden in Deutschland. Sie hat sich auf mindestens 60.000 erhoeht. Angesichts der gewaltigen Aufgaben fehlt Zeit und Kraft zum Dialog mit Nichtjuden. Auf Jahre hinaus sind die juedischen Gemeinden mit sich selbst vollauf beschaeftigt. Doch werden die juedischen Gespraechspartner gemeinsam mit ihren christlichen Freunden auch zukuenftig dafuer sorgen, dass kein Stillstand in der Fortentwicklung der Beziehungen eintritt. Der christlich-juedische Dialog war und ist ein Beispiel dafuer, wieviel wenige Engagierte bewirken koennen.

Quelle: Referat anlaesslich einer Studientagung in der Katholischen Akademie in Stuttgart, abgedruckt in WCRP-Informationen, Nr.50/1998 und Nr.51/1998.


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