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Wir brauchen muslimische Lehrerinnen

Unter dem Kopftuch verbirgt sich ein neues Selbstbewusstsein /
Aus einem Bildungszentrum im Odenwald

Laengst ist der Islam zur zweitgroessten Religion in Deutschland geworden. Langsam entwickelt sich auch eine Art deutscher Islam: weg von den arabischen Traditionen und hin zu einem Glauben, der sich mit dem Leben hier vereinbaren laesst, im Haus des Islam, einem Bildungszentrum im Odenwald, wird dieser - in einer besonders strengen Form - gelehrt und praktiziert.

In dem grossen verwunschenen Garten hinter der Mauer am Ende der Strasse spielen Kinder. Nur ein kleines Schild deutet daraufhin, dass es sich bei dem grossen, grau verputzten Haus mit spitzem Giebel um das "Haus des Islam" handelt. Sie ist am aeussersten Rand der 7000 Einwohner Gemeinde Luetzelbach im Odenwald gelegen. Seit 15 Jahren finden hier regelmaessig Seminare zu islamischen Themen, Jugendfreizeiten und Zeltlager statt. An islamischen Feiertagen und besonders zum jaehrlichen Treffen deutschsprachiger Muslime kommen Tausende aus der ganzen Bundesrepublik angereist.

Gruender und Leiter des Hauses ist Mohammed Siddiq. Mit seinem langen Bart und dem karierten Wickelrock erinnert der 54jaehrige an einen nahoestlichen Patriarchen. Frueher hiess er Wolfgang Borgfeldt, bis er als Sechzehnjaehriger zum Islam konvertierte und mit der Religion auch seinen Namen aenderte. Er hat seine Geschichte schon oft erzaehlt: von seiner Kindheit im Nachkriegsberlin, der Vater starb im Krieg, die Mutter kurz darauf an einer Krankheit, auch von Zurueckgezogenheit und von der immer draengenderen Sinnfrage.

Anfang der sechziger Jahre stiess Mohammed Siddiq zu einer Gruppe arabischer Studenten, sprach schliesslich dreimal das Glaubensbekenntnis und wurde Muslim. Er studierte im Sudan und in Saudi Arabien und wurde Religionsgelehrter. Zurueck in Deutschland, arbeitete er in islamischen Zentren mit. "Als Deutscher wurde ich dort zwar respektvoll behandelt, alle wichtigen Fragen machten die arabischen Brueder allerdings unter sich aus."

Siddiq begann, die deutschen Muslime zu organisieren. Erst wandte er sich mit seinen Seminaren an die Konvertiten. Sie waren damals eine kleine Gruppe. Inzwischen gibt es schaetzungsweise 30000 Deutsche, die zum Islam konvertiert sind. Bald wurde der Kreis um Siddiq erweitert: Immer mehr gebuertige Muslime kamen hinzu.

Von den 2,7 Millionen Muslimen in Deutschland sind knapp die Haelfte deutsche Staatsbuerger und leben dauerhaft hier. Ein Grund fuer viele, ihre Religion zu ueberdenken, ist mit der Frage verbunden, wie der Islam zum Leben in einer europaeischen, christlich gepraegten Gesellschaft passt?

Nicht nur im Haus des Islam wird ueber diese Frage diskutiert. Mohammed Siddiqs strenge Auffassung vom Islam ist unter Muslimen in Deutschland umstritten. Doch von hier gehen wichtige Impulse fuer die Diskussion aus. "Wir wollen keinen Larifari-Islam, sondern sind bewusste Muslime. Wir fasten, beten und geben unser Geld nicht auf Banken, wo wir Zinsen bekommen, denn Zinsen sind uns verboten", sagt Siddiq. Die Vorstellung eines "Kulturislam", die besonders von arabischen Intellektuellen vertreten wird, lehnt er ab. Das Bekenntnis zum Islam sei mehr als das Zugehoerigkeitsgefuehl zur orientalischen Kultur, kombiniert mit einer persoenlichen Glaeubigkeit "Alle Bereiche des Lebens werden vom Islam geregelt."

Im Haus des Islam geht es zunaechst um die Vermittlung von Wissen, beispielsweise ueber das islamische Recht oder Prinzipien des Glaubens. Was dort gelehrt wird, ist meist nicht nur fuer die Konvertiten, sondern auch fuer die gebuertigen Muslime neu. "Wir haben viele Traditionen von zu Hause mitbekommen, die mit dem Islam nichts zu tun haben. Von denen muessen wir uns trennen", sagt eine der Frauen, die regelmaessig zu den Seminaren kommt. "Maedchen duerfen beispielsweise nicht gezwungen werden zu heiraten. Vaeter berufen sich dabei haeufig auf die Religion. Diese Sitte widerspricht aber dem Islam", erklaert sie. "Der Glaube ist zwar universell, aber in den letzten Jahren ist eine Art deutscher Islam entstanden. Mit deutscher Gruendlichkeit werden Traditionen aussortiert."

Das Haus des Islam ist so eingerichtet, dass sich Maenner und Frauen nicht begegnen. Wenn sich doch einmal die Wege kreuzen, schlagen sie die Blicke nieder. Bei Seminaren wird eine Spanische Wand in der Mitte des Tagungsraumes aufgestellt, um Blickkontakt zu verhindern. Maenner und Frauen geben sich auch nicht die Hand. Was hier als reiner Islam verstanden wird, halten andere Muslime wiederum fuer Tradition.

Siddiq sieht jedoch keine wirklichen Konflikte zwischen seiner Lebensweise und der seiner Umwelt. "Es gibt inzwischen fuer fast alles eine Loesung. Beispielsweise haben wir Spezialkonten bei der Bank, wo wir keine Zinsen bekommen und dafuer keine Gebuehren zahlen", erklaert er.

Luetzelbach ist ein ganz normales Dorf: Einfamilienhaeuser mit gepflegten Vorgaerten, Sporthalle, Kirche, Einkaufszentrum. An die Muslime und an das Haus des Islam hat man sich gewoehnt. "Anfangs hatten wir grosse Bedenken, dass wir jetzt auch ein Minarett im Dorf bekommen, aber eigentlich kriegen wir kaum etwas von den Muslimen mit", sagt Werner Old. Buergermeister von Luetzelbach.

"Nur manchmal kochen die Emotionen hoch", erzaehlt Pfarrer Klaas Hansen. "Als wir fuer eine der grossen Veranstaltungen des Haus des Islam das evangelische Gemeindehaus als Schlafplatz zur Verfuegung stellten, gab es Protest von unseren Gemeindemitgliedern." Sonst gebe es nur wenige Ueberschneidungspunkte. "Wir leben eher nebeneinander als miteinander".

Seit seiner Studienzeit steht Mohammed Siddig der Muslimbruderschaft nahe. Diese - in Aegypten verbotene - Organisation unterhaelt mehrere Zentren in Deutschland. Im Verfassungsschutzbericht wird sie zwar genannt, jedoch als nicht militant eingestuft.

Anders werden radikale Ableger wie "Al Jihad" und "GIA" eingeschaetzt. "Mit denen habe ich nichts am Hut", sagt Siddiq. Er finanziert seine Arbeit zum grossen Teil aus Spenden, "Freunde am Golf geben mir ab und zu etwas." Fuer die Ausbreitung des Islam in Europa spendet man im arabischen Ausland gerne. So gibt es einen speziellen Fonds, um Neu-Muslimen die Pilgerfahrt nach Mekka zu ermoeglichen: 750 Mark, alles inklusive.

Als das Haus des Islam vor 15 Jahren gegruendet wurde, war es eines der ganz wenigen Orte, an denen Informationen ueber den Islam auf Deutsch verbreitet wurden. Inzwischen gibt es in vielen Staedten deutschsprachige Gemeinden. Siddiq ist stolz darauf. Schliesslich sehen viele ihn als Patenonkel dieser neuen Gemeinschaft.

Seine Frau Azisa stellt Thermoskannen mit Tee und Kaffee auf die Tische im Aufenthaltsraum der Frauen. Ein merkwuerdiges Strahlen geht von den Frauen aus. Eifrig und sehr ruecksichtsvoll im Umgang miteinander. Es herrscht eine beinahe euphorische Stimmung. Fast jede von ihnen hat eine Kopftuchgeschichte zu erzaehlen: Wie sie an der Uni ignoriert wurde oder wie sie den Job als Krankenschwester nicht bekam, weil sie das Kopftuch nicht ablegen wollte.

Gebetsraeume an Unis und Islamischer Religionsunterricht sind weitere Themen, fuer die sie sich engagieren. Sie schreiben Leserbriefe, melden sich bei Diskussionsveranstaltungen zu Wort und organisieren die "Islamwoche", die jaehrlich in einer anderen Stadt stattfindet. "Viele unterschaetzen uns. Sie vergessen einfach, dass unter dem Kopftuch auch ein Gehirn steckt", sagt eine der juengeren Frauen. Sie ermuntern sich gegenseitig, das Abitur zu machen und anschliessend zu studieren. Die aelteren Frauen raten den juengeren zu erzieherischen Berufen: "Denkt an die Gemeinschaft! Wir brauchen muslimische Lehrerinnen".

"Es gibt eine neue Generation von religioesen jungen Frauen, vor allem der zweiten Migrantengeneration, die sehr energisch ihren Platz in dieser Gesellschaft einfordert, hat die Religionswissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann beobachtet. "Da sich der Konflikt mit der Gesellschaft haeufig am Kopftuch festmacht, sind die Frauen besonders aktiv."

Quelle: Der Tagesspiegel, 22.Januar 1999, Seite 32.


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