Dieses Logo/Emblem ist als Gebrauchsmuster rechtlich geschützt www.chrislages.de
Christlich-Islamische Gesellschaft e.V.
Home    CIG - Wir über uns    Kontakt    Dialog    Aktuell    Archiv    Suchen    Veranstaltungen    Literatur    Links

Wie sich die Abwahl des Faches Religionslehre auf den Deutschunterricht auswirkt

Vom Heiland keine Ahnung

Von Friedel Schmitz-Keil

"Wer ist der Heiland?" Die Frage eines siebzehnjaehrigen Schuelers bei der Besprechung eines Gryphius-Gedichtes laesst aufhorchen. Sie war weder provokativ gemeint noch wurde sie von einem auslaendischen Jugendlichen gestellt - es war ein Schueler eines Duesseldorfer Gymnasiums, der mit dem Wort Heiland nichts mehr verbinden konnte.

Als die Schueler die Moeglichkeiten bekamen, mit 14 Jahren das Fach Religionslehre abzuwaehlen, wurde zwar von Kritikern auf die Probleme hingewiesen, die sich fuer die religioese Erziehung der jungen Menschen ergeben koennten. Auswirkungen auf Faecher wie Deutsch, Kunst und Musik zog man dabei allerdings kaum in Betracht.

Europaeische Kunst, Literatur und Musik spiegeln seit Jahrhunderten die Auseinandersetzung der Menschen mit der christlichen Glaubensbotschaft und deren Quellen wieder. Wie aber koennen Jugendliche, denen grundlegende Kenntnisse im Bereich christlicher Gedankenwelt und der durch sie gepraegten Kultur fehlen, Aussage und Komposition solcher Kunstwerke ueberhaupt verstehen?

Der Weg, auf dem die jungen Menschen in eine fatale Halbbildung hineingefuehrt werden, ist nicht ungefaehrlich. Befreit von allem scheinbar ueberfluessigen Traditionsballast, kann er gleichzeitig nur lueckenhafte Erklaerungsmuster der geistigen Umwelt bieten. Den Jugendlichen wird gewissermassen fruehzeitig eine Brille gereicht, sie werden eingefuehrt in Modelle und Theorien. Doch viel zu wenig achtet man darauf, ob ihre Augen schon geoeffnet sind, und somit faehig, einen Gegenstand selbstaendig aufzunehmen.

Am Beispiel des Deutschunterrichts tritt der Mangel an Bezuegen besonders deutlich zutage. Um Missverstaendnissen vorzubeugen: Es geht nicht um die allgemeine Klage ueber eine leseunlustige Generation. Auch wenn juengste Untersuchungen zum Leseverhalten von Studenten und Schuelern Gegenteiliges behaupten, so gibt es viele Schueler, die gerne lesen, die Freude und Interesse an der Auseinandersetzung mit literarischen Werken zeigen.

Und dennoch wachsen von Jahr zu Jahr die Schwierigkeiten bei einer sachlich angemessenen Entschluesselung und Interpretation literarischer Werke, weil es immer muehsamer und zeitaufwendiger wird, die notwendigen Verstehensgrundlagen zu schaffen. Diese Schwierigkeiten tauchen nicht nur bei der Lektuere von Werken vergangener Epochen auf, sie zeigen sich auch bei der Behandlung literarischer Werke unseres Jahrhunderts.

In einer Unterrichtsreihe, in der Werke der Nachkriegszeit ausgewaehlt wurden, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus beschaeftigen, sollte auch die Kurzgeschichte von Langgaessers "Saisonbeginn" analysiert werden. Der Inhalt der Geschichte ist kurz wiederzugeben. Da wird zu Beginn der Saison an einem strahlenden Fruehlingstag in einem Gebirgsdorf ein Schild mit der Aufschrift "In diesem Kurort sind Juden unerwuenscht" aufgestellt.

Die Schriftstellerin laesst den Leser an der Suche nach einem geeigneten Platz fuer dieses Schild teilnehmen, sie setzt den Vorgang in eine symbolische Beziehung zu der Kreuzigungsgeschichte auf Golgotha. Um das unreflektierte, inhumane Verhalten der Dorfbewohner zu kennzeichnen, bedient sie sich zahlreicher Parallelen zur Leidensgeschichte. Die Kreuzesinschrift, der Platz des Schaechers zur Linken, die Frauen, die stehenbleiben, um die Inschrift zu lesen, all das wird erwaehnt. Fast jeder Satz dieser kunstvoll verdichteten Kurzgeschichte enthaelt Bezuege zur Leidensgeschichte, die jedoch nur dem eingeweihten Leser deutlich werden. Genau da zeigt sich das Problem: Die Symbolkraft der Aussage wird von den Schuelern nicht mehr erfasst, ohne umfangreiche Kommentare kann diese Geschichte nicht mehr gedeutet werden.

Ob in Hebbels "Maria Magdalena", ob in Buechners "Woyzeck" oder in Goethes "Faust" - immer wieder tauchen schwer ueberwindbare Verstehenshindernisse auf, da Beziehungen nicht erkannt, neue Aussagen nicht mehr gedeutet werden koennen. Das Buch Hiob ist vielen Schuelern kein Begriff mehr. So bewerten sie den "Prolog im Himmel" in Goethes "Faust" als einen "witzigen Einfall des Dichters". Auch die Szene "Mariens Kammer" aus Buechners "Woyzeck" erschliesst sich in ihrer Aussagekraft ohne religioeses Grundwissen nicht, wenn die Perikope von Jesu Begegnung mit der Ehebrecherin unbekannt ist. Um einen Vergleich zwischen Kafkas Parabel "Die Heimkehr" und der biblischen "Heimkehr des verlorenen Sohnes" herzustellen, bedarf es zahlreicher Zwischenschritte.

Welche Verstehensschwierigkeiten erwachsen erst bei der Analyse von Gedichten. Der Einfluss, den die kuehne Metaphorik der Psalmen auf die Lyrik vieler Epochen ausgeuebt hat, kann nur mit Hilfskonstruktionen erklaert werden, die nicht groesser waeren, wenn man sich der Bildsprache der chinesischen Kultur naehern wollte.

In der bildungspolitischen Diskussion muss deutlicher als bisher darauf hingewiesen werden, dass das Fach Religionslehre Grundlagen schafft, die in vielen Faechern des Gymnasiums vorausgesetzt werden. Es reicht nicht aus, wenn die Kultusminister bei Beratungen ueber die Reform der gymnasialen Oberstufe die allgemeinbildende Aufgabe des Geschichtsunterrichts unterstreichen.

Dem Fach Religionslehre, das nicht unbedingt mit der Glaubensentscheidung eines Menschen zu tun haben muss, sie aber haeufig erst durch die Kenntnisse, die vermittelt werden, ermoeglichen kann, kommt im gleichen Masse allgemeinbildende Funktion zu. Da bietet auch das Fach "Ethik", das in manchen Bundeslaendern anstelle der Religionslehre zur Wahl gestellt wird, keinen Ersatz.

Hier soll dem Religionsunterricht keine Funktion zugesprochen werden, die etwa der Einfuehrung in die griechische Mythologie als Verstehensgrundlage fuer die antike Literatur gleichkaeme. Doch in einer Zeit, in der viele junge Menschen nicht mehr durch ihr Elternhaus in eine religioese Gedanken-, Bild und Symbolwelt eingefuehrt werden, muss die Schule mit besonderer Sorgfalt Kenntnisse vermitteln und geistige Fundamente legen, die Jugendlichen eine Orientierung in ihrer kulturellen Umwelt ermoeglichen.

Adornos vielzitierte Bildungsdefinition stimmt nachdenklich. Ihm zufolge laesst sich "Bildung" als "Kultur nach der Seite ihrer subjektiven Zueignung" verstehen. Wie aber sollen sich Jugendliche ihre Kultur "subjektiv" zueignen, wenn nicht einmal objektive Voraussetzungen geschaffen werden, die Wurzeln der Kultur kennenzulernen, in der sie aufwachsen?

Rheinischer Merkur, mehrere Jahre vor 1996.


www.chrislages.de
Der Internet-Service der Christlich-Islamischen Gesellschaft (CIG e.V.)

Impressum, Datenschutz und Haftung.

Email: info@chrislages.de