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Christen und Muslime in der Bundesrepublik Deutschland
von Dr. Udo Marquardt
Schriftenreihe Gerechtigkeit und Frieden
Herausgeber: Deutsche Kommission Justitia et Pax
Redaktion: Harry Neyer


Bedrohung Islam?

Christen und Muslime in der Bundesrepublik Deutschland von Dr. Udo Marquardt

Udo Marquardt. Dr.phil., (geb.1959) ist Journalist und Publizist. Er studierte Philosophie, Religionswissenschaften und Germanistik in Heidelberg, Luzern und Freiburg. Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Projektgruppe "Bedrohung Islam?" der Deutschen Kommission Justitia et Pax. Veroeffentlichungen unter anderem "Die Einheit der Zeit bei Aristoteles" (Wuerzburg 1993).

Schriftenreihe Gerechtigkeit und Frieden
Arbeitspapier 72
ISBN 3-928214-73-X
1996
Umschlagfoto: KNA-Bild Hauke


Auslieferung:
Justitia et Pax
Adenauerallee 134
53113 Bonn
Telefon (0228) 103-217
Telefax (0228) 103-330

Die Dinge vor Ort verantworten: Ibbenbueren

Ibbenbueren (Kreis Steinfurt) ist die groesste Stadt des Tecklenburger Landes; sie liegt noerdlich von Muenster am Nordwestrand des Teutoburger Waldes. "Ibbenbueren ist Kohlestadt nach Tradition und Selbstverstaendnis."(Fn111) Tatsaechlich haengen immer noch rund 4000 Arbeitsplaetze von der Zeche der Preussag Anthrazit GmbH ab, auch wenn in den letzten Jahren fast die Haelfte der Arbeitsplaetze dort verloren gegangen ist. Das Defizit konnte nur teilweise durch Neuansiedlungen und Erweiterungen in anderen Branchen aufgefangen werden. Trotzdem ist die Arbeitslosenquote im Vergleich zum Landesdurchschnitt noch relativ niedrig. Neben der Zeche sind vor allem kleine und mittlere Betriebe des verarbeitenden Gewerbes, des Dienstleistungssektors und des Handels angesiedelt. Chemie, Maschinenbau und Textilverarbeitung spielen eine Rolle. Ibbenbueren hat einen stark laendlichen Charakter. "Die Siedlungsstruktur ist durch Einfamilienhaeuser mit groesseren Gaerten gekennzeichnet."(Fn112)

In Ibbenbueren leben 48.489 Einwohner, davon 2129 Auslaender.(Fn113) Der Auslaenderanteil liegt damit bei 4,3%, also deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 8,5%.(Fn114) Mit 61% ist die ueberwiegende Mehrheit der Bevoelkerung von Ibbenbueren roemisch-katholisch, 29% sind evangelisch, die verbleibenden 10% fallen unter "sonstige".

Wie fast ueberall kommen auch in Ibbenbueren die meisten Auslaender aus der Tuerkei. Insgesamt leben 615 Tuerken in der Stadt, das sind 28,8% der Auslaender und 1,2% der Gesamtbevoelkerung. Viele Auslaender kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien (553) und aus Polen (136); sonst gibt es kein Herkunftsland, aus dem mehr als 80 Menschen kommen.(Fn115)

Die Geschichte der Begegnung zwischen Christen und Muslimen in Ibbenbueren ist lang. In den 60er Jahren wurden vor allem tuerkische Gastarbeiter fuer die Arbeit in der Zeche angeworben. Der damalige Berufsschul- und heutige Krankenhauspfarrer Klemens Niermann lernte durch ein Lager mit gebrauchten Moebeln tuerkische Muslime kennen. Aus dieser zufaelligen Begegnung wuchsen ueber die Jahre Freundschaften. Noch heute ist Klemens Niermann eine zentrale Figur im christlich-islamischen Dialog in Ibbenbueren. Niermann half und hilft den tuerkischen Familien bei persoenlichen Noeten, aber er knuepfte ueber die Jahre auch viele Verbindungen zu Stadt und Kirchen. Zudem machte er sich in den Gemeinden fuer den Dialog mit dem Islam stark. In einem Interview begruendete Niermann sein Engagement: "Islam und Christentum sind aneinander schuldig geworden durch gegenseitige Feindseligkeiten. Deshalb sehen Einsichtige auf beiden Seiten es als ein Gebot der Stunde an, sich gegenseitig besser kennenzulernen, aufeinander zuzugehen, damit die gegenseitigen Aengste abgebaut werden und wir zu einer gegenseitigen Toleranz kommen."(Fn116)

Ende der 70er Jahre konnten die tuerkischen Muslime in den Raeumen der Albert-Schweitzer-Schule ein "Kultur- und Gebetszentrum" einrichten. Die Raeume wurden von der Stadt zur Verfuegung gestellt. Die katholischen und evangelischen Gemeinden halfen dabei massgeblich. Zur Einweihung stifteten sie damals auch die ersten Gebetsteppiche. Die Raeume wurden der wachsenden Gemeinde bald zu klein. Unter den tuerkischen Muslimen bildete sich 1979 der "Diyanet-Tuerkisch-Islamische Kulturverein".(Fn117)

Zu Beginn der 90er Jahre gelang es dem "Kulturverein", ein eigenes Haus an der Ledder Strasse zu kaufen. Dort konnte im Maerz 1993 die Eyuep-Sultan-Moschee eroeffnet werden. Das Haus einer ehemaligen Gaertnerei kostete den Kulturverein etwa 210.000 DM plus 120.000 DM an Umbaukosten. Das Geld wurde vor allem durch die Eigenleistung der Vereinsmitglieder aufgebracht, fast jede der 100 zum "Kulturverein" gehoerenden Familien spendete rund 2500,- DM, dazu kamen kleinere Spenden des Bistums Muenster, der Stadt und der oertlichen Sparkassse.

Dem Haus in der Ledder Strasse ist von aussen nicht anzusehen, dass es sich um eine Moschee handelt. Es hat den Charakter eines Einfamilienhauses bewahrt; entsprechend fehlt auch ein Minarett. Im Haus gibt es zwei Gebetsraeume. Im Erdgeschoss ist der Gebetsraum fuer die Frauen, dort wird auch die Koranschule abgehalten. Der Gebetsraum fuer die Maenner liegt im ersten Stock und ist durch einen separaten Eingang zu erreichen. Es gibt Raeume fuer die rituellen Waschungen, eine Teekueche und ein Buero, die Wohnung des von der Diyanet gestellten Hocas, schliesslich noch einen kleinen tuerkischen Laden. Die Raeume des Ladens dienen zur Zeit nur noch als Lagerraeume; der Laden selbst wurde so gut angenommen, dass er in die Innenstadt umgezogen ist.

Seit 1993 ist die Eyuep-Sultan-Moschee zu einem Zentrum des islamischen Lebens in und um Ibbenbueren geworden. Zum "Kulturverein" gehoeren inzwischen 120 tuerkische Familien. Der Mitgliedsbeitrag betraegt wenigstens 10,- DM pro Familie. Am Freitag ist die Moschee meist ueberfuellt, viele Glaeubige finden kaum einen Platz; der Gebetsraum fuer Maenner ist mit 100 Betenden vollkommen ueberfuellt. Zwar ist die Moschee fuer alle Muslime offen, die ueberwiegende Mehrheit stammt dennoch aus der Tuerkei. Daran hat auch die zunehmende Zahl der Fluechtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nichts geaendert. Die starke Ausrichtung auf tuerkische Muslime ist auf die Zugehoerigkeit zur DITIB zurueckzufuehren. Wie fast alle Hocas, die vom staatlichen Praesidium fuer religioese Angelegenheiten in der Tuerkei nach Deutschland geschickt werden, spricht auch Burhaneltin Bulut bis auf einige Brocken Deutsch nur Tuerkisch.

Der Vorsitzende des "Kulturvereins" ist zur Zeit Erol Aktepe.(Fn118) Der 26jaehrige Schlosser folgte vor 16 Jahren seinen Eltern aus der Tuerkei nach Ibbenbueren. Aktepe sind die Jahre im Muensterland deutlich anzuhoeren, sein Deutsch hat einen deutlichen dialektalen Einschlag. Er selbst bezeichnet sich als "Tuerke und Westfale". Klemens Niermann kennt er noch aus seinen Schultagen. "Pastor Niermann hat mir damals geholfen, dass ich nicht am Religionsunterricht in der Schule teilnehmen musste," erzaehlt er.

Mit dem Plan der Eroeffnung einer Moschee kam die Begegnung zwischen Christen und Muslimen in Ibbenbueren 1991 in eine neue Phase. Liefen die Kontakte zwischen "Kulturverein" Kirchen bzw. Stadt bislang eher in aller Stille ab, wendete sich im Dezember 1991 der damalige Vorsitzende des "Kulturvereins" Veysel Yilmaz in einem "Wort zum Sonntag" der Ibbenbuerener Volkszeitung an die Oeffentlichkeit: "Wir kennen gut die Fabriken und Werkstaetten, in denen wir mit den Deutschen zusammenarbeiten; wir kennen auch die Sparkassen, die Bahnhoefe, die Verwaltungen und die Strassen; wir kennen die Geschaefte und die vielen Autos, die wir ja inzwischen auch selbst fahren; aber wir haben fast keinen Kontakt mit ihren Familien. Sie sehen uns selten in ihren Gasthoefen oder bei den kulturellen Veranstaltungen. Wir leben seit vielen Jahren mitten unter ihnen, aber wir leben als Tuerken und Moslems trotzdem wie in einem Ghetto. (...) Wir Tuerken haben hier in Ibbenbueren ein 'Tuerkisches Zentrum'. Jetzt ist es hauptsaechlich noch ein Gebetsraum, eine kleine Moschee. Natuerlich kommen an den normalen Freitagen, unserem 'Sonntag' nicht alle Tuerken zum Gebet; so wie die Deutschen ja auch nicht alle jeden Sonntag zur Kirche gehen. Aber dieses Zentrum ist doch fuer uns ein grosser Gewinn. Jetzt haben wir seit fast einem Jahr ein neues Zentrum erworben: Es ist die ehemalige Gaertnerei Grothe an der Ledder Strasse. Zur Zeit erweitern wir dieses Haus und bauen es so um, dass es fuer uns ein geeignetes religioeses und kulturelles Zentrum wird."(Fn119)

Mit diesem "Wort zum Sonntag" erfuhr die Oeffentlichkeit in Ibbenbueren zum ersten Mal von dem Plan, eine Moschee zu bauen. Durch die Lage der Moschee in der Ledder Strasse gehoert die Moschee ins Gebiet der katholischen Gemeinde St. Ludwig. Dort stellen sich Pfarrer Martin Weber und der Pfarrgemeinderat sehr rasch die Frage, wie man auf den Bau der Moschee reagieren soll. "Im Januar 1992 kommt in den Gremien unserer Gemeinde zum ersten Mal konkret die Frage auf: Wie stehen wir zu den Tuerken und Muslimen, die im Bereich unserer Pfarrgemeinde eine Moschee errichten wollen?" Dem Pfarrgemeinderat (PGR) wird schnell klar: ""Wenn wir in dieser Phase des Moscheebaus den Kontakt zur muslimischen Gemeinde intensivieren wollen, kommen wir an der Frage einer (vielleicht auch nur symbolischen) Mitfinanzierung nicht vorbei."(Fn120)

Im Januar 1992 hatte Pfarrer Niermann bei einer Seelsorgekonferenz angeregt, dass sich die Kirchen Ibbenbuerens am Bau der Moschee beteiligen koennten. Dabei war Niermann besonders auf St. Ludwig zugegangen, da sich die Moschee ja im Gebiet der Gemeinde befinden werde. Dieser Impuls wurde waehrend eines Planungstags fuer das Pfarrfest von den Gruppen und Verbaenden der Gemeinde aufgegriffen. Es entstand die Idee, den Erloes des Festes zu vierteln und der muslimischen Gemeinde ein Viertel fuer den Bau ihrer Moschee zu spenden. Der Pfarrgemeinderat beschliesst daraufhin, Kontakt zum "Kulturverein" aufzunehmen. Im April schliesslich beschliesst der Pfarrgemeinderat nach einem oeffentlichen Spendenaufruf von Pfarrer Niermann, dass tatsaechlich ein Viertel des Erloeses vom Pfarrfest dem "Kulturverein" gespendet werden soll, der Kirchenvorstand schliesst sich dem Beschluss an. Der Beschluss geht an die oertliche Presse, ein Artikel unter der Ueberschrift "Katholische Kirche unterstuetzt den Bau der Moschee" erscheint am 16. April 1992 in den Westfaelischen Nachrichten. Doch erst als die ueberregionale Presse das Thema nach Meldungen im dioezesanen Pressedienst "ndm - Nachrichtendienst Muenster" und der KNA Bonn aufgreift, schlaegt die Aktion Wellen. Im Mai erscheint ein Interview mit Pfarrer Weber in der Zeitschrift "missio aktuell".(Fn121)

In diesem Interview sagt Martin Weber zur Begruendung der geplanten Spenden: "Ich erlebe die Tuerken hier, wie gesagt, keinesfalls als fundamentalistisch. Das sind Menschen, die nicht daran denken, Christen zu werden, und wir wuerden nicht daran denken, sie missionieren zu wollen. Es sind Menschen, die fromm sind, die redlich versuchen, ihren Glauben zu praktizieren. Jetzt sind sie in Schwierigkeiten gekommen, ihren Versammlungs- und Gebetsraum zu finanzieren und sozusagen ihre geistige Heimat auch hier leben zu koennen. Das ist Grund genug fuer uns zu helfen." Weber wird auch nach moeglicher Ablehnung in Ibbenbueren gefragt. "Sicher gibt es Ablehnung und Unsicherheit. Die Medien berichten ja immer wieder ueber die fundamentalistischen Stroemungen im Islam. Aber wir haben hier in Ibbenbueren auch ganz persoenliche Erfahrungen mit muslimischen Arbeitskollegen. Diese Erfahrungen sind positiv." Damit formuliert Pfarrer Weber seine Ueberzeugung vom interreligioesen Dialog. Man duerfe die negativen Berichte von fundamentalistisch motivierter Gewalt nicht auf seine direkte Umgebung uebertragen. "Man kann", sagt Martin Weber im Gespraech, "nur die Dinge vor Ort verantworten."

Mit seinem Interview fuer "missio aktuell" beginnt fuer Weber eine intensive Auseinandersetzung mit dem Islam; inzwischen ist der ehemalige Student Adel Theodor Khourys Mitglied in der Christlich-Islamischen Gesellschaft (Koeln). Nach seinem Interview erhielt Weber zahlreiche Zuschriften:

Schliesslich schaltete sich sogar noch die "Christliche Mitte" ein. Und auch bei MISSIO trafen empoerte Briefe ein:

Fast alle Briefe haben den gleichen Tenor: Menschlicher Kontakt und Toleranz sind durchaus zu befuerworten, aber wie koennen Christen Muslimen Geld fuer den Bau einer Moschee geben, wo doch in islamischen Laendern kein Muslim Christen beim Bau einer Kirche unterstuetzt? Viele Briefschreiber versuchten das durch beigefuegte Zeitungsartikel zu belegen. Pfarrer Weber bemuehte sich, alle Briefe moeglichst sachlich zu beantworten. Die Briefe und seine Antworten stellte er zu einer Dokumentation zusammen, 1994 schrieb er fuer die Zeitschrift DIAKONIA einen Artikel ueber das "Pfarrfest fuer die Moschee".(Fn123) Waehrend bei MISSIO und im Pfarrbuero von St. Ludwig Protestbriefe einliefen, konnte ohne Empoerung im betroffenen Ibbenbueren selbst im Sommer das Pfarrfest fuer die Muslime ueber die Buehne gehen. Schliesslich konnten 2050,- DM fuer die Moschee gespendet werden.

Der Wirbel um das Pfarrfest fuehrte in Ibbenbueren zu einer oeffentlichen Diskussion ueber den Islam bzw. die tuerkischen Muslime in der Stadt. Die oertliche Presse berichtete ausfuehrlich ueber die Reaktionen; im Pfarrbrief von St. Ludwig veroeffentlichte Pfarrer Weber einen Teil der Zuschriften; der Religionswissenschaftler Adel Theodor Khoury wurde zu einem Vortrag in die Gemeinde eingeladen. Zugleich erforderte der Solinger Brandanschlag von Pfingsten 1993 neue Reaktionen auch in Ibbenbueren. Dort besuchten Gemeindemitglieder von St. Ludwig schon am Tag nach dem Anschlag das Morgengebet in der Moschee. In einem Brief an den "Kulturverein" sprach der Pfarrgemeinderat seine Anteilnahme aus: "Unsere beiden Gemeinden haben begonnen, behutsam aufeinander zuzugehen, um sich gegenseitig besser zu verstehen. Wir haben berechtigte Hoffnung, dass unser gemeinsames Unternehmen fuer die Zukunft trotz widriger Umstaende Bestand hat."(Fn124)

Im April 1994 ging der "Kulturverein" mit dem Wunsch nach einem eigenen Friedhof in die Oeffentlichkeit, ein Wunsch, der zu dem Zeitpunkt keineswegs neu war. Die Stadt hatte einen entsprechenden Antrag bereits seit 1993 vorliegen. Die Stadt Ibbenbueren, bzw. das staedtische Garten- und Friedhofsamt, reagierte sofort, nachdem die Zeitung ueber das Anliegen des "Kulturvereins" berichtet hatte.(Fn125) Schon eine Woche spaeter erklaerte man sich bereit, den Muslimen einen Teil des staedtischen Friedhofs zu Verfuegung zu stellen. Bedenken von seiten der Kirchen gab es nicht, die Friedhoefe sind alle staedtisch, nur in Randgebieten der Stadt gibt es kirchliche Friedhoefe. Einzige Auflage der Friedhofsverwaltung: Die Friedhofssatzung muss eingehalten werden; dazu gehoert die Bestattung in Saergen.(Fn126) Keine Probleme gab es mit der Ausrichtung der Graeber nach Mekka. Die Muslime hatten zudem den Wunsch nach einem eigenen Begraebnisfeld geaeussert, um ihre Toten nicht zwischen Kreuzen begraben zu muessen. Auch diesem Wunsch konnte entsprochen werden, ein entsprechendes Feld wurde inzwischen abgeteilt und mit einer Hecke von den uebrigen Graebern getrennt. Schon wenige Wochen nach der Entscheidung der Stadt fand die erste Beerdigung statt. Ein Ereignis, das sogar in der Presse kommentiert wurde: "Friedhoefe sind Orte der Trauer und der Gefuehle. Es sind Orte, an denen die Lebenden haengen. Begraben werden in heimischer Erde, das hat fuer die meisten Menschen eine mystische Bedeutung. Es verbindet ueber den Tod hinaus mit Orten und Menschen, mit Landschaft und Familie. (...) Zu Grabe getragen wird ein totgeborenes Kind, dessen Mutter katholisch und dessen Vater muslimisch ist. Beide Familien wuenschen sich ein Begraebnis nach den Regeln ihres Glaubens. Und es ist moeglich. Ein katholischer Pfarrer und ein muslimischer Imam zelebrieren gemeinsam am Grab. Auch das ein kleiner Fortschritt in einer Gesellschaft, die lernen muss, dass verschiedene Kulturen selbstverstaendlich unter einem Dach leben koennen."(Fn127) Der Ewigkeitswert der muslimischen Graeber ist bislang von keiner Seite angesprochen worden. Da das muslimische Graeberfeld recht gross ist, geht man davon aus, dass sich entsprechende Probleme erst weit nach der Jahrtausendwende ergeben koennten.

Waehrend ein Problem mit einem Friedhof fuer Muslime rasch und pragmatisch geloest wurde, gab es bei einem sehr viel prosaischeren Problem keine Einigung: Parkplaetze. Am Freitag und an den Wochenenden gibt es im Umfeld der Eyuep-Sultan-Moschee regelmaessig Parkplatznot. Nach regelmaessigen Beschwerden von Anwohnern wichen die Besucher der Moschee auf den nahegelegenen Parkplatz des Amtsgerichtes aus. Dieser Parkplatz war frei zu befahren. Nachdem er jedoch an den Wochenenden vorwiegend von Tuerken benutzt wurde, liess das Amtsgericht Schilder aufstellen, die den Parkplatz fuer Mitarbeiter und Besucher des Gerichtes reservieren. Als Begruendung fuehrte das Amtsgericht an, man habe auf dem Parkplatz die Verkehrssicherungspflicht. Zudem seien die Schilder eher als Wunsch denn als Verbot zu verstehen, man habe auf den Zusatz, bei Zuwiderhandlung werde abgeschleppt, verzichtet. Bislang konnte das Parkplatzproblem nicht geloest werden. Vom Gericht wurde vorgeschlagen, einen nahegelegenen staedtischen Parkplatz zu nutzen. Die oertliche FDP machte den Vorschlag, die Stadt solle den Parkplatz des Gerichtes am Wochenende anmieten.

Im August 1994 wurde Pfarrer Martin Weber eingeladen, einen Beitrag fuer die Rubrik "Das Wort zum Alltag" in der Fernsehzeitung "Gong" zu schreiben. Martin Weber entschied sich fuer sein Ibbenbuerener Thema. Unter dem Titel "Christen und Muslime. Leben und Glauben in Toleranz" schrieb er: "Erol Aktepe ist mein Freund. Der 26jaehrige Tuerke ist seit kurzem Vorsitzender der 'Tuerkisch-Islamischen Union'. Bei unseren muslimischen Mitbuergern hat mit ihm inzwischen ein notwendiger Alterswechsel stattgefunden. Die erste 'Gastarbeitergeneration' ist pensioniert. Aber anders als immer geplant, wird es keine Rueckkehr in die alte Heimat geben. Die teilweise erwachsenen Kinder fuehlen sich hier zu Hause und wuerden ihre Eltern nicht mehr begleiten. Nach langen Jahren des Provisoriums sind viele zum ersten Mal gezwungen, sich auf ein Leben in Deutschland, der neuen Heimat, tatsaechlich einzurichten. Die christlichen Gemeinden von Ibbenbueren pflegen schon seit Jahrzehnten ein sehr freundschaftliches Verhaeltnis zu den Muslimen. Vor zwei Jahren haben wir einen Teil des Pfarrfest-Erloeses fuer die neue 'Moschee' auf unserem Gemeindegebiet gespendet. Auch der zustaendige Weihbischof hat spaeter nach der Eroeffnung einen Beitrag dazu gegeben. Wir haben uns auch dafuer eingesetzt, dass den Muslimen ein Teil des staedtischen Friedhofs zur Verfuegung gestellt wird, wo sie nach ihren Riten beerdigen koennen. Das ist ein wichtiger Schritt zur Integration: Denn wo ich meine Toten beerdige, da bin ich zu Hause. Unser Engagement hat uns manche Kritik eingebracht. Die meisten Mitchristen aber sind ueberzeugt: Auch wenn Muslime und Christen sonstwo in der Welt schrecklich anders handeln, duerfen wir aufeinander zugehen und ein Leben und Glauben in Toleranz foerdern. Je besser wir dabei uns kennen- und zu vertrauen lernen, um so weiter wird der Gedanke der Auslaenderfeindlichkeit und religioesen Unterdrueckung von uns entfernt sein."(Fn128)

Die Reaktionen auf das "Wort zum Alltag" reichten von Zustimmung bis zur beleidigenden Ablehnung:

Wieder, wie schon bei den Reaktionen auf das Interview in "missio aktuell", beantwortete Weber jeden Brief ausfuehrlich und betont sachlich. Die Briefe (ohne Angabe der Absender) und seine Antworten stellte er zu einer kleinen Broschuere "Christen und Muslime - Leben und Glauben in Toleranz" zusammen, die im Oktober als eine Art Gemeindeblatt 1994 erschien. In seinem Vorwort zu der Broschuere heisst es: "Es ist immer gut, wenn man ueber eine Sache reden kann, bevor man sie in sich hineinfrisst."

1994 erarbeitete eine Psychologin des Begegnungszentrums fuer Auslaender und Deutsche in Ibbenbueren eine Untersuchung ueber die Situation aelterer Auslaender im Kreis Steinfurt. Die Ergebnisse der Studie:

Leider ist die Studie kaum als repraesentativ zu betrachten, insgesamt wurden nur 25 Personen befragt.(Fn130)

1994 stellte der "Kulturverein" einen Antrag auf Anerkennung als jugendfoerdernder Verein. Der Hintergrund: Der Untere Markt in der Innenstadt von Ibbenbueren ist Treffpunkt vor allem auslaendischer Jugendlicher. Dort war es mehrmals zu Beschwerden der Anwohner gekommen. Zunaechst hatte der "Kulturverein" versucht, einen Jugendraum in einer Art Lagerraum neben der Moschee einzurichten. Ein entsprechendes Gesuch war allerdings von der Stadt abgewiesen worden. Denn fuer den noch vom Vorbesitzer erbauten Lagerraum war nie eine Baugenehmigung erteilt worden. Im Maerz 1995 bat der "Kulturverein" die Stadt um Einrichtung eines Jugendzentrums fuer tuerkische Jugendliche. In dem Schreiben heisst es: "Wir moechten aber, dass unsere Jugendlichen nicht andere belaestigen und wuerden gerne ein Jugendzentrum fuer diese Jugendlichen einrichten." Der "Kulturverein" erklaerte sich bereit, einen Teil der Kosten zu tragen. Laufende Kosten wie Miete, Wasser und Strom sollten von der Stadt getragen werden. Zugleich legte man ein Papier mit Aufgaben und Zielen eines tuerkischen Jugendzentrums vor:

  1. Das Jugendzentrum wird unter der Aufsicht des Tuerkisch-Islamischen-Kulturvereins stehen.
  2. Das Zentrum soll von Jugendlichen von 12-25 Jahren mit Einhaltung der Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes besucht werden. Der Tuerkisch-Islamische-Kulturverein wuenscht eine engere Zusammenarbeit mit dem Jugendamt.
  3. Hier sollen nicht nur tuerkische, sondern auch andere Jugendliche hinkommen, hier wird insbesondere die Zusammenarbeit mit anderen Jugendorganisationen angestrebt.
  4. Die Jugendlichen sollen hier verschiedene Unterhaltungsmoeglichkeiten, z.B. Tischtennis, Billiard etc. haben. Keine Automaten!
  5. Fuer die schulpflichtigen Jugendlichen zwischen 12-18 Jahren soll eine Art Nachhilfeunterricht gegeben werden. Jugendliche, die in der Schule erfolgreich sind, sollen die anderen unterstuetzen.
  6. Fuer die Jugendlichen, die Interesse an einem islamischen bzw. kulturellen Unterricht haben, soll der jeweilige Imam des Tuerkisch-Islamischen-Kulturvereins zur Verfuegung stehen und sie unterrichten.

Im April 1994 lud der "Kulturverein" tuerkische Jugendliche in die Moschee ein, um mit ihnen ueber ihre Vorstellungen eines Jugendzentrums zu diskutieren.

Inzwischen tragen diese Aktivitaeten Fruechte. Zwei Mitglieder des Kulturvereins sind als beratende Mitglieder in den staedtischen Jugendhilfeausschuss berufen worden. Raeume fuer ein Zentrum sind gefunden, Stadt und "Kulturverein" haben ein gemeinsames Konzept erarbeitet. Dabei uebernimmt der "Kulturverein" die Traegerschaft, also Verantwortung und Aufsicht. Die Stadt selbst finanziert den Umbau und die laufenden Kosten. Eine konkrete Nutzungsvereinbarung zwischen dem zukuenftigen Traeger der Einrichtung und dem Jugendamt der Stadt soll ausgearbeitet werden.(Fn131)

Im September 1994 beteiligte sich die Gemeinde St.Ludwig an einer sogenannten Aktionswoche der Hauptschule Aasee in Ibbenbueren. Die Woche stand unter dem Motto "Umgang miteinander". Zusammen mit der evangelischen und muslimischen Gemeinde wurden an drei Tagen religionsgemischte Gruppen durch die Moschee in der Ledder Strasse gefuehrt. Dort gab es Gespraeche und Informationen ueber Religion und Glaubenspraxis. In Raeumen der St.-Ludwig-Gemeinde wurde ein Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurs fuer Maedchen angeboten. Der Kurs sollte vor allem der Kontaktaufnahme zwischen deutschen und auslaendischen Maedchen dienen.

Auch bei den "Tagen religioeser Orientierung" der Hauptschule Aasee arbeitet die Gemeinde St. Ludwig regelmaessig mit. Die Tage sind oekumenisch ausgerichtet und wollen religioese Gespraeche und Auseinandersetzungen unter den Schuelern foerdern. Teilweise erlaubten die Eltern von muslimischen Schueler ihren Kindern die Teilnahme an den Tagen, die jedesmal mit einer Art Klassenfahrt verbunden sind. So fielen die letzten "Tage religioeser Orientierung" (1995) zum Beispiel in den Ramadan, und die muslimischen Schueler "mussten darum ganz anders verpflegt werden", erzaehlt Pfarrer Weber.

Trotz der behutsamen Annaeherung zwischen Christen und Muslimen in Ibbenbueren sind viele Vorurteile bestehen geblieben. Nach einem Bericht ueber das islamische Opferfest im Fruehjahr 1995 meldete sich eine Leserbriefschreiberin in der Ibbenbuerener Volkszeitung mit der Frage zu Wort, ob es den Muslimen nichts ausmache, beim Schaechten einem Tier Schmerz zuzufuegen. Daraufhin kam es zu einer regelrechten Leserbriefschlacht zwischen einem Muslim und Tierschuetzern. Die Vorwuerfe des Muslimen gipfelten in seiner Frage: "Warum unternehmen Sie nichts gegen die 'Moslems-Schaechtung' in Ex-Jugoslawien, Azerbaican oder Tschetschenien? Weil es Sie nicht stoert, dass Moslems fast ueberall auf der Welt getoetet werden. Sie kuemmern sich ja nur um ihre Tiere."(Fn132)

Im November 1995 wurde bekannt, dass der "Verband der Islamischen Kulturzentren e.V." (VIKZ) ein ehemaliges Hotel in Ibbenbueren, Breite Strasse 16 gekauft hat.(Fn133) Es ist geplant, dort eine Moschee und eine Koranschule einzurichten. Nach Aussagen von Erol Aktepe hat der "Kulturverein" die Absichten des VIKZ unterstuetzt, um so Bestrebungen zur Gruendung einer fundamentalistischen Gemeinde in Ibbenbueren unmoeglich zu machen.(Fn134)

In der Gemeinde St. Ludwig setzt man weiter auf eine Annaeherung in kleinen Schritten. Einmal in der Woche wird ein Spielnachmittag fuer Kinder der - ueberwiegend muslimischen - Asylsuchenden organisiert. Ein erster Frauennachmittag zum gegenseitigen Kennenlernen wurde organisiert. "Wir sind uns naehergekommen," schreibt Martin Weber, aber er warnt auch vor einer zu schnellen "Umarmung" der Muslime: "Fuer eine kleine Minderheit der Tuerken ist der Vorstand der 'Tuerkisch-Islamischen-Union' zu 'christenfreundlich' und (ganz bewusst, was unsere Beziehungen enorm erleichtert hat) unpolitisch. Sie haben sich abgespalten und wuerden am liebsten einen eigenen Verein gruenden. Wir muessen aufpassen, dass unsere Kontakte die relativ kleine Gruppe der Muslime nicht erdruecken. Als z.B. die Moschee eingeweiht wurde, befanden sich mehr Christen als Muslime im Raum!"(Fn135)


Fussnoten

(Fn111) So die Broschuere "Ibbenbueren. Standort erfolgreicher Unternehmen.", hrsg. von der WEKA Informationsschriften- und Werbefachverlage GmbH.

(Fn112) Aus dem Prospekt "Stadt Ibbenbueren. Daten, Zahlen, Fakten."

(Fn113) Stand 30.06.1995 (Einwohnerzahl) und 21.09.1995 (Auslaenderzahl).

(Fn114) Mitteilungen der Beauftragten der Bundesregierung fuer die Belange der Auslaender: Daten und Fakten zur Auslaendersituation, 14. Auflage, Oktober 1994, S.9.

(Fn115) Zur Zahl der Auslaender werden laut Einwohnermeldeamt auch die Asylbewerber gerechnet.

(Fn116) Ibbenbuerener Volkszeitung vom 16.4.1992.

(Fn117) Der Verein gehoert zur DITIB, siehe dazu Tuerkische Muslime in NRW, a.a.O., S.87-90 und Studie ueber Islamische Organisationen, a.a.O., S.53-71. In Ibbenbueren kursieren mehrer Varianten des Namens. Auf seinem Briefpapier bezeichnet sich der Verein selbst als "Diyanet-Tuerk Islam Kueltuer Dernegi / Diyanet-Tuerkisch-Islamischer Kulturverein"; aber auch der Name "Tuerkisch-Islamische Union e.V." ist gebraeuchlich. Der offizielle Name der DITIB ist "Tuerkisch-Islamische Union der Anstalt fuer Religion e.V. / Diyanet Isleri Tuerk Islam Birligi".

(Fn118) Stand Oktober 1995.

(Fn119) Ibbenbuerener Volkszeitung vom Samstag, 28. 12.1991.

(Fn120) Martin Weber, Pfarrfest fuer die Moschee; in: Diakonia, Maerz 1994, Heft 2, S. 131.

(Fn121) missio aktuell 5/92, S. 6, "Pfarrfest fuer Muslime".

(Fn122) Die Briefe wurden mir freundlicherweise von Pfarrer Weber zur Verfuegung gestellt. Er hat ueber das "Pfarrfest fuer Muslime" eine Dokumentation erstellt, in der auch die Briefe enthalten sind. Keiner der Briefe war anonym, ihre Absender wurden fuer die Dokumentation unleserlich gemacht.

(Fn123) A.a.O.

(Fn124) Zitiert nach Weber "Pfarrfest fuer die Moschee", a.a.O., S.131.

(Fn125) Im gleichen Artikel (Westfaelische Nachrichten, 21.4.1994) forderte der "Kulturverein" auch die Einrichtung eines Auslaenderbeirates; dazu ist die Gemeinde Ibbenbueren allerdings nicht verpflichtet, da in der Stadt keine 5000 Auslaender leben.

(Fn126) Eine Bestattung in einfachen Holzsaergen stellt fuer Muslime inzwischen kein Problem mehr da, entsprechende islamische Rechtsgutachten liegen vor. Ueblich ist die Bestattung in Leintuechern.

(Fn127) Westfaelische Nachrichten, 4.6.1994.

(Fn128) "Gong" Nr. 33, 12.8.1994, S.113.

(Fn129) Siehe dazu die Artikel "Niemand hat mit ihnen gerechnet", Westfaelische Nachrichten vom 14.12.1994; "Unsicherheit kennzeichnet Situation aelterer Auslaender", Ibbenbuerener Volkszeitung vom 15.12.1995.

(Fn130) Dabei wurden auch einfache Grundlagen der statistischen Methodologie ausser acht gelassen, so wird z.B. bei einer Befragung von nur 25 Personen trotzdem mit Prozentzahlen ausgewertet, was eigentlich nur bei Zahlenwerten ueber 100 erlaubt ist.

(Fn131) Inzwischen konnte das Jugendzentrum eroeffnet werden. Vgl.den Artikel "Geist Europas soll im Treff fuer die Jugend wehen" in den Westfaelischen Nachrichten vom 18. Dezember 1995.

(Fn132) Ibbenbuerener Volkszeitung vom 19.5.1995.

(Fn133) Zum VIKZ vgl. Tuerkische Muslime in NRW, a.a.O.,S. 97-102; Studie ueber Islamische Organisationen, a.a.O., S.109-119.

(Fn134) Vgl. Ibbenbuerener Volkszeitung vom 18.11.1995.

(Fn135) Pfarrfest fuer die Moschee, a.a.O., S.132.


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