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oder wie fundamentalistisch ist der Umgang mit der Transzendenz?
Vortrag gehalten am 9.Juni.1998 in der Islamischen Akademie Villa Hahnenburg/Koeln.
Dr.Gerdien Jonker
Zentrum Moderner Orient
Kirchweg 33
14129 Berlin
Das Wortfeld von 'Fundamentalismus' hat sich in den letzten 10-15 Jahren tiefgreifend gewandelt. Wer heutzutage das Wort verwendet, ruft Assoziationen mit Zwang, Intoleranz und Fanatismus auf. Wer das Wort dazu noch in Zusammenhang mit 'Islam' verwendet, erweitert diese Assoziationskette um die Woerter Gewalt und Terrorismus. Diese Assoziationskette ist so stark geworden, dass im deutschen Kontext die blosse Nennung des Wortes 'Islam' oder 'Muslim' die Kette schon aktiviert. Die Folge ist, dass jeder Muslim in diesem Land potentiell mit dem Etikett 'Fundamentalist' versehen und mit der tatsaechlichen Gewalt in Algerien oder Afghanistan gleichgesetzt werden kann.
Dazu kommt die Tatsache, dass die Gesellschaft und ein grosser Teil der Eliten nicht mehr ueber die kulturelle Kompetenz verfuegen, um religioese Phaenomene beschreiben zu koennen. Es fehlt ihnen einfach die Sprache (Fussnote 01). Fuer Muslime in der Diaspora jedoch ist ein Sprachfindungsprozess im Gang gesetzt, der damit zu tun hat, dass unter den Umstaenden der Migration die Weitergabe der religioesen Tradition keine Selbstverstaendlichkeit mehr darstellt. Hier wird mit Sprache gerungen, um der islamischen Tradition in einer nicht-muslimischen Umgebung einen Platz zu verschaffen.
Wo die Fremdbezeichnung im oeffentlichen Diskurs einen Prozess der Grenzziehung zwischen 'Innen' und 'Aussen', 'Wir' und die 'Anderen', 'Deutsche' und 'Auslaender' bedient, hat die Sprachfindung unter Muslimen zu einer Neubesinnung und einer Aufwertung der islamischen Werte gefuehrt:
Diese Neubesinnung schlaegt sich auch in der Gestaltung des religioesen Gemeindelebens wieder. Die Weitergabe der religioesen Tradition ist hier zum wichtigsten Anliegen avanciert, weil in der Sicherung und Neuinterpretation der Tradition ein wichtiger Schluessel zur Integration gesehen wird.
Im Folgenden will ich, in aller gebotenen Kuerze, einen Einblick in der Situation der Moscheen in Berlin geben. Abschliessend werde ich dann den oeffentlichen Diskurs ueber 'Fundamentalismus' dem religioesen Wandel, die sich in diesen Moscheen vollzieht, gegenueberstellen.
Das islamische Leben Berlins ist von zwei Faktoren gepraegt, die es von der restlichen BRD unterscheiden.
Erstens bestimmte die Anwerbungsstruktur der 60erJahre, dass Arbeiter aus Ost- und Suedost-Anatolien nach Berlin geholt wurden. Dadurch gibt es heute relativ grosse Gruppen von Kurden und Aleviten, aber auch von Vertreter der historischen religioesen Orden (Sufi).
Zweitens haben sich in Berlin bis heute keine tragenden Kommunikationsstrukturen zwischen Vertretern der islamischen Gemeinden und Vertretern der deutschen Oeffentlichkeit herausgebildet. Die Berliner Muslime sind dadurch weitgehend isoliert und ein leichtes Ziel oeffentlicher Feindseligkeit, wie letztens die Aeusserungen des Innensenators Schoenbohm wieder zeigten.
In Berlin wohnen cirka 200.000 Muslime, von ihnen 130.000 tuerkischer Herkunft, 2/3 davon ist unter 35 Jahren alt. Ein Teil, cirka 20 Prozent, ist aktiv im Gemeindeleben einer Moschee. Vor fuenf Jahren habe ich angefangen, Kontakt mit den Moscheen aufzunehmen. Heute kenne ich 71 verschiedene Gebetshaeuser, 58 davon tuerkisch-sprachig. Im letzten Winter dann habe ich mit Studenten der Humboldt-Universitaet in allen 71 Moscheen eine Befragung durchgefuehrt. Unser Ziel war es, beschreiben zu koennen:
All diese Moscheen werden von relativ kleinen Kerngruppen, zwischen 20 und 300 Mitgliedern, getragen, die ihre Arbeit als eine religioese Dienstleistung verstehen. Diese richtet sich auf einen lokalen Besucherstamm, meistens Bewohner der unmittelbar angrenzenden Haeuser und Strassenzeilen. Mitglieder sind verantwortlich fuer die Miete, machen Reparaturen, suchen und bezahlen einen Imam (Ausnahme: DITIB und die Idealistenvereine) und organisieren vor Ort das Gemeindeleben.
Ein wichtiger Faktor fuer den Erfolg oder Misserfolg einer Moschee ist die bevorzugte Organisationskultur. Den hoechsten Organisationsgrad findet man in den Moscheen der islamischen Kulturzentren. Hier wird zentral bestimmt, was auf lokaler Ebene geschieht. Alle andere Organisationen bevorzugen einen niedrigen Organisationsgrad. Damit machen sie sich bewusst abhaengig von lokalen Initiativen. Wer in einer dieser Moscheen die Initiative ergreift, bestimmt, was passiert. Wenn keiner die Initiative ergreift, passiert nichts. Ob neben dem Freitagsgebet die Moschee auch fuer andere, soziale und religioese, Zwecken benutzt wird; ob Frauen in der Moschee kommen, ob religioese Bildung stattfindet, ob ein Freizeitangebot fuer Jugendliche gemacht wird; ob Kindergaerten, Jugendbibliotheken, Anti-Drogenarbeit, Fahrten ins Umland, Nachhilfe, Vortraege und Bildungsreihen, Sport- und Kinoangebote und so weiter und so weiter existieren, ist weitgehend von aktiven Mitglieder und hervorragenden Persoenlichkeiten vor Ort abhaengig. Gegenueber der zentralen Organisationsstruktur der Kulturzentren sind sie verletzlicher, aber auch flexibler.
Ich moechte die Konsequenzen dieser Organisationskultur an Hand von zwei Beispielen verdeutlichen.
(1) Zur Zeit beobachten wir in etwa der Haelfte der Moscheen
eine fortschreitende Vergreisung der ueberwiegend maennlichen
Besucher. Vor allem die DITIB-Moscheen und die Moscheen der
Idealistenvereine, aber auch manche Milli Goeruesch-Moscheen
(immerhin 5 von 11) bekommen durch mangelnde Initiativen und den
Mangel an Persoenlichkeiten, die die Initiativen tragen koennten,
kein Angebot zustande, das Jugend anzuziehen vermag.
'Jung' sind dagegen die arabischen Moscheen und die sogenannten Bildungszentren der zweiten Generation, deren Mitglieder und Besucher mehrheitlich aus Studenten bestehen. 'Jung' sind auch die Sufi-Orden, weil hier inzwischen eine Abloesung der religioesen Fuehrungsschicht durch die zweite Generation stattgefunden hat. In all diesen Moscheen kann man junge Eltern beobachten, die interessiert sind an einer gut funktionierenden Infrastruktur und der Errichtung von Kindergaerten in ihrem Viertel, die sich Gedanken ueber die religioese Erziehung ihres Nachwuchses machen und sich mit Fragen auseinandersetzen, die sich darum drehen, ihre deutsche Identitaet mit ihrem Muslim-sein zu integrieren.
(2) In vielen dieser Moscheen, vor allem in den 'jungen', aber in zunehmendem Masse auch in den vergreisenden Moscheen, findet in den letzten zwei/drei Jahren eine wachsende Teilnahme von Frauen am Gemeindeleben statt. 2/3 der Moscheen verfuegen inzwischen ueber eigene Frauenraeume, in den anderen werden Frauenraeume zumindest angestrebt. Diese Entwicklung ist keine kulturelle Selbstverstaendlichkeit. Traditionell kommen Frauen nur waehrend des Ramadan in die Moschee und haben weder am oeffentlichen Gebet noch an der Vermittlung religioesen Wissens Anteil. Viele junge Frauen der zweiten Generation suchen jedoch religioese Erkenntnis, um sich in der deutschen Gesellschaft zurecht finden zu koennen. Ausserdem fordern sie fuer sich einen Platz in der Halboeffentlichkeit des Moscheelebens, um die sozialen und kulturellen Funktionen der Moschee zu nuetzen. In den Moscheen der islamischen Kulturzentren ist der Partizipation von Frauen bereits ein struktureller Platz eingeraeumt. In Moscheen mit einem niedrigen Organisationsgrad ist es in der letzten Zeit verstaerkt zu Auseinandersetzungen ueber die Raumnutzung gekommen. In der Milli Goeruesch Moschee Haci Bayrami zum Beispiel stellen die Frauen inzwischen die Mehrheit und haben dementsprechend fuer sich die groesseren Raeumlichkeiten, inclusive des Gebetsraumes (mit Mihrab), gefordert. Ergreifen in diesen Moscheen Frauen die Initiative, ohne dass dem eine Initiative von maennlicher Seite gegenuebersteht, wie zum Beispiel in der DITIB-Moschee Bedir, bestimmen sie in kuerzester Zeit das Tagesgeschaeft.
Das hat wiederum die Funktion der Moschee geaendert. Neben ihrer Funktion als traditioneller Ort des Gebets ist sie zunehmend zum Lehrhaus geworden, in dem nicht nur die Experten, sondern jeder, der das moechte, die Moeglichkeit hat, selber das offenbarte Gotteswort zu studieren.
Auch die Partizipationsstruktur wandelt sich im Augenblick rapide. Der Zugang zum heiligen Text ist nicht mehr nur Sache der Maenner. Auch Frauen wollen am Prozess der Erkenntnis teilhaben und danach handeln. Nicht zuletzt ist die Moschee ein sozialer Ort, in der Schuelerbetreuung, Kindergaerten, Kurse, Sport und andere soziale Aktivitaeten angeboten werden. Die Isolierung der Muslime hat hier eine Netzwerkstruktur geschaffen, die sich positiv in gegenseitiger Hilfe, negativ in einer einengenden sozialen Kontrolle niederschlagen kann.
So beobachten wir auf der einen Seite einen oeffentlichen Diskurs, der Islam mit Gewalt assoziiert und jeden Muslim potentiell mit Fundamentalismus gleichstellt, gleichzeitig aber keine Sprache fuer religioesen Phaenomene bereitzustellen in der Lage ist.
Auf der anderen Seite gibt es im Kreis der Moscheen eine verstaerkte Beachtung der islamischen Tradition, die mit der Organisation eines sozialen Lebens einhergeht. Erfolg oder Misserfolg dieses Unternehmens haengt von der Organisationskultur ab, die in vielen Faellen steht und faellt mit lokalen Initiativen und Persoenlichkeiten. Religioesitaet geht hier Hand in Hand mit einer Suche nach Anschlussmoeglichkeiten; Orthodoxie wird entweder umgewandelt in eine eigene zeitgemaesse Interpretation der Tradition, oder in einen weltabgewandten - weltverneinenden - religioesen Fundamentalismus. Beides ist moeglich und findet statt.
Ich sehe es als Aufgabe der intellektuellen und der religioesen Elite an, gemeinsam auf die Suche nach einer Sprache zu gehen, die religioese von politischen Prozessen, Identitaetsfindung von lokaler Vergemeinschaftung unterscheiden kann und praezise zu beschreiben in der Lage ist.
Fussnote 01: Andreas Puettmann (Konrad-Adenauer-Stiftung) erklaert die oft selektive und unsachgemaesse Berichterstattung ueber diese Themen mit der Kirchenferne deutscher Journalisten, denen es an Glauben und Glaubenswissen fehle. Verlag Johann Wilhelm Naumann (Herausgeber), Katholische Presse/Die Scheidung der Geister, Wuerzburg 1998, 240 Seiten, 29.80 DM. Zitiert nach BKU-Rundbrief 3/1998, Seite 30.
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