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Morgenstern-Gespraech Oktober 1995 Seite 28
Wir haben es nicht geschafft
Morgenstern: Scheich Bashir Ahmad, Ihr seid Scheich der
Sufi-
Scheich Bashir: Ich befuerchte, ja. Gezwungenermassen. Denn ich glaube an die Notwendigkeit der Schaffung von in diesem Lande wichtigen Strukturen. Ziel ist es, eine Form von Islam zu leben, die auf der Tradition, Sufismus und Dialog baut.
Morgenstern: Was sind das fuer Strukturen?
Scheich Bashir: Fuer ein islamisches Leben, wie schon erwaehnt, sind meiner Ansicht nach Moscheen, Zentren und Ordenshaeuser notwendig, die dann wieder Traeger sein koennen fuer die vielen Dinge des Alltags wie zum Beispiel die Vermittlung unserer Lehren an Jugendliche und Erwachsene, die Schaffung von oder die Mitbeteiligung an Kindergaerten, Krankenhaeusern, Tagungsstaetten, Altenheimen und, nicht zu vergessen, Friedhoefen, die immer dringender werden. Dass wir all diese Dinge nicht zur Verfuegung haben, wird mir tagtaeglich schmerzlich bewusst gemacht, indem ich taegliche Anfragen mit einem "nein" oder "noch nicht" oder "immer noch nicht" beantworten muss, wodurch mir mit einem Gefuehl der Trauer oder Scham bewusst gemacht wird, wie wenig wir zwei Millionen Muslime in Deutschland zustande gebracht haben; dies ein Spiegel immer noch nicht erreichter Zusammenarbeit der muslimischen Organisationen und Gemeinschaften in Deutschland.
Morgenstern: Was sind Eurer Meinung nach die Gruende fuer diesen jaemmerlichen Zustand?
Scheich Bashir: Einer der Hauptgruende ist, dass die Mehrzahl der sogenannten islamischen Organisationen in Deutschland immer noch Heimatverbaende muslimischer Zuwanderer sind und es auch wohl noch lange bleiben werden. Und ich moechte mich hier ganz deutlich ausdruecken und erklaeren, dass ich das Bestreben solcher Heimatvereine als notwendig betrachte, wie auch Schlesier und Ostpreussen und so weiter zu Recht ihre Heimatorganisationen haben. Aber ich versuche, in diesen Vereinen das Bewusstsein zu wecken, dass es sinnvoll ist, am Bau der gemeinsamen, der allgemein islamischen Strukturen mitzuhelfen, ohne damit den Heimatverein aufzugeben. Und ich glaube, dass der Rahmen dieser Strukturbildungen der Zentralrat der Muslime in Deutschland ist.
Morgenstern: Und was ist mit uns deutschen Muslimen?
Scheich Bashir: Die Mehrzahl der deutschen Muslime, der Maenner sowohl als der Frauen, lassen sich schwer zur Mitarbeit, zur "Vereinsmeierei" bewegen. Ich glaube, der Grund ist hier, dass fuer den Deutschen, der zum Islam findet und sich damit meist in einen starken individuellen Gegensatz zu Familie, Umwelt und Arbeitsplatz stellt, es nicht einsichtig ist, weshalb er jetzt, da er sich von allen ueberkommenen Formen befreit zu haben glaubt, sich wieder organisieren, irgendwie einbinden lassen soll. Die Folge ist: Von ungefaehr 100 000 deutschen Muslimen, Maennern und Frauen, sind vielleicht einige Hunderte Mitglieder in Vereinen verschiedener Couleur.
Morgenstern: Sind die deutschen Muslime besonders faul?
Scheich Bashir: Nicht unbedingt, ein Grund ist, dass viele hinter vorgegebener Angst vor Vereinsmeierei die Abneigung verbergen, Verantwortung zu tragen, was sie als Muslime eigentlich sollten.
Morgenstern: Stimmt das wirklich? - Kann man nicht, ohne im Verein zu sein, ein guter Muslim sein?
Scheich Bashir: Nein, wenn richtig ist, dass das Tragen von Verantwortung in diesem Lande nur durch Vereine organisiert werden kann. Muslim ist man nicht fuer sich allein, sondern in Gemeinschaft mit anderen. Und die Gemeinschaft muss gebaut und gepflegt werden. Ein wichtiges Mittel dazu und zugleich ein Ausdruck davon sind die bereits erwaehnten sozialen Einrichtungen.
Morgenstern: Zur Frage der Koerperschaft oeffentlichen Rechts: Seid Ihr da schon weitergekommen?
Scheich Bashir: Die Deutsche Muslim-Liga zum Beispiel bemueht sich seit ueber 40 Jahren in Deutschland um diesen Status, Koerperschaft oeffentlichen Rechts zu werden, was dem Islam in Deutschland eine rechtliche Gleichstellung mit den Kirchen und solchen Vereinigungen wie zum Beispiel den Zeugen Jehovas braechte. Wir - das gilt auch fuer alle anderen muslimischen Organisationen - haben es bis heute nicht geschafft. So gibt es zum Beispiel bis heute keinen Lehrstuhl an einer deutschen Hochschule fuer die Ausbildung islamischer Religionslehrer und Theologen, der uns von auslaendischen Importen unabhaengig machen wuerde. Denn Islam findet in Deutschland nicht statt.
Morgenstern: Dass wir als Koerperschaft oeffentlichen Rechts in allen Gremien und Raeten, in denen die Kirchen sitzen, auch Platz und Stimme haetten, zum Beispiel im Fernsehen, und ein "Wort zum Freitag" selbstverstaendlich waere, ist das denn wirklich so wichtig?
Scheich Bashir: Mir ist klar, dass die Anerkennung als Koerperschaft ein "Holerecht" ist, dessen Gewaehrung von zu gewaehrenden Bedingungen abhaengt, die meiner Meinung nach inzwischen von uns Muslimen durchaus erfuellbar sind, wenn wir Muslime uns in unserem Strukturbau gefunden haben. Denn tatsaechlich liegt der Grund dafuer, dass eine solche Anerkennung bis heute nicht geschah, nicht allein an den Laendern der Bundesrepublik und den Kirchen, sondern vor allem an uns Muslimen selbst, die es eben nicht geschafft haben, solche Strukturen aufzubauen.
Morgenstern: Welche Rolle spielen die Kirchen hier?
Scheich Bashir: Die Kirchen werden von vielen Behoerden der Laender in der Rolle einer Art Vormund tuer die Muslime gesehen. Ohne Anerkennung als Koerperschaft gibt es die Weltreligion des Islam nur in Deutschland noch immer nicht, sondern nur eine Zahl von Muslimen, mehrheitlich nicht deutscher Nationalitaet, denen man deshalb bestimmte Rechte nicht gewaehren muss, sondern nur kann.
Morgenstern: Lieber Scheich Bashir, ueberschaetzt Ihr nicht vielleicht die Bedeutung solcher Strukturen?
Scheich Bashir: Als Antwort moechte ich eine kleine Geschichte erzaehlen. Auf einer der letzten Seminare zum Thema einer solchen Anerkennung, einer Tagung der F.D.P., wo der F.D.P.-Referent die Muslime aufforderte, nicht weiter um die Anerkennung zu kaempfen, sondern sich statt dessen gemeinsam mit der F.D.P. fuer die Abschaffung jener dem Grundgesetz eigentlich widersprechenden Einrichtung einzusetzen, kam ich in ein Gespraech mit einem katholischen Bischof. Der sagte: "Scheich Bashir, ich weiss gar nicht, wo eure Probleme sind. Kopiert nur unsere Strukturen, dann muss die Anerkennung kommen." Meine Antwort war gewesen: "Verehrter Freund, das versuchen wir seit vierzig Jahren. Aber sind Sie sich bewusst, dass Sie fuer den Bau Ihrer Strukturen mehr als eineinhalbtausend Jahre zur Verfuegung hatten? Ich bin mir sicher, dass wir das in so einem Zeitraum auch schaffen wuerden. Nur fuerchte ich, in Hinblick auf die sozialpolitische Lage in diesem Lande, dass es wesentlich schneller gehen muss, und dabei sollten wir mit Ihrer Hilfe rechnen duerfen."
Morgenstern: Euer Sufi-Orden und die Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. sind bekannt fuer ihre interreligloesen Dialog-Aktivitaeten. Haben wir Muslime untereinander nicht Probleme, deren Loesung viel dringender waeren?
Scheich Bashir: Dazu, lieber Salim, moechte ich bei einer naechsten Gelegenheit einmal ausfuehrlich Stellung nehmen.
Morgenstern: Scheich Bashir, wir danken Euch fuer dieses Gespraech.
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