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Zu einem sachlichen und verantwortungsvollen Umgang mit dem
Begriff "Auslaenderkriminalitaet" hat die gruene
Landtagsabgeordnete Christiane Bainski als Vorsitzende des
Ausschusses fuer Migrationsangelegenheiten
aufgerufen. Zu Beginn
einer
forderte sie, auf Schlagworte zu verzichten, um den Blick auf gesellschaftspolitisch sinnvolle Schlussfolgerungen nicht zu verstellen.
Die oeffentliche Anhoerung stand unter dem Thema "Auslaenderkriminalitaet - Konstrukt und Wirklichkeit/Moegliche Ursachen fuer Kriminalitaet und politische Handlungskonzepte". Expertinnen und Experten aus Polizei, Staatsanwaltschaft, Justiz, Wissenschaft und Jugendschutz kamen zu Wort. Die Bandbreiten der Stellungnahmen erstreckten sich von der Feststellung, dass die im Vergleich zur deutschen Bevoelkerung hoehere Straffaelligkeit von Auslaendern eine statistische Tatsache sei, bis zur Wertung, bei der sogenannten Auslaenderkriminalitaet handele es sich um ein rassistisches Vorurteil.
Sprecher des nordrhein-westfaelischen Justizministeriums (JM> machten zu Beginn darauf aufmerksam, jeder Fall von Kriminalitaet - ob von Deutschen oder Auslaendern begangen - sei ein Fall zuviel. Wer Kriminalitaet zu einem Merkmal einer ganzen Bevoelkerungsgruppe mache, der muesse auch den Begriff "Deutschenkriminalitaet" benutzen, aber dieses Wort gebe es ebensowenig wie den Begriff "Maennerkriminalitaet", wo doch laut Statistik feststehe, dass auf eine verurteilte Frau fuenf verurteilte Maenner kaemen.
Wolfgang Wirth von der Arbeitsgruppe Kriminologischer Dienst berichtete ueber die Gruppe der auslaendischen Gefangenen im Jugendvollzug von einer Erhebung unter 408 maennlichen Haeftlingen aus 36 Nationen, dass Dreiviertel der jungen auslaendischen Strafgefangenen keinen Schulabschluss und 97 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung haetten; mit vier Prozent sei wegen voellig fehlender Sprachkenntnisse eine Verstaendigung nicht in Deutsch, sondern nur mit Dolmetscher moeglich. Bei Strafantritt seien 74 Prozent arbeitslos gewesen (was sich uebrigens von den Gegebenheiten unter den deutschen Gefangenen nicht unterscheide). Fast alle jungen auslaendischen Strafgefangenen seien vorbestraft, wenn sie ihre Haft antraeten. Da der Anteil der Gewaltdelikte, wegen deren sie verurteilt worden seien, sehr hoch liege, falle auch das durchschnittliche Strafmass mit 29 Monaten betraechtlich aus.
Dr.Schellhoss (JM) zitierte Aussagen zum Beitrag auslaendischer Mitbuerger zur deutschen Wirtschaftsleistung und zum Rentensicherungssystem, wo Auslaender mehr einzahlten, als sie erhielten. Sie stellten den Facharbeiternachwuchs und arbeiteten in Berufen, die sie den Deutschen nicht wegnaehmen, weil kein Deutscher fuer sie zu gewinnen sei. Sie schuefen als selbstaendige Unternehmer Arbeitsplaetze und zahlten Steuern. Vor dem Hintergrund nicht abreissender Gewalttaten gegen auslaendische Mitbuerger warnte Schellhoss vor einer diffusen Auslaenderkriminalitaetsdiskussion.
Der dritte JM-Sprecher, Ministerialrat Boecker, zeichnete die Entwicklung der rechtskraeftigen Verurteilungen nach. Waehrend sich in der ersten Haelfte der 80er Jahre die Zahl der rechtskraeftig verurteilten Nichtdeutschen zwischen 20000 und 24000 gelegen habe, habe sich diese Ziffer im vergangenen Jahr auf ueber 47000 gesteigert. Die Verurteilungen erfolgten wegen Strassenverkehrsdelikten (25), Diebstahl und Unterschlagung (29), Raub und Erpressung (zwei), andere Vermoegensdelikte (16), Betaeubungsmittelgesetzesverstoesse (sechs), Verstoessen gegen Auslaendergesetz und Asylverfahrensgesetz (fuenf) und Sexualdelikten (0,7 Prozent). Der Sprecher zeigte sich ueberzeugt, "dass Umfang, Zusammensetzung und Entwicklung von Straffaelligkeit kaum davon abhaengen, welcher Staat den Pass ausgestellt hat": Staatsbuergerschaft allein besitze keinen besonderen "Erkenntniswert". Unterschiede in der Straffaelligkeit zwischen Auslaendergruppen einerseits und Deutschen andererseits duerften weniger von der Nationalitaet als von bestimmten Umstaenden und Gegebenheiten abhaengen. Nur wenn weiter und genauer differenziert wuerde, haetten auslaenderspezifische Ergebnisse der Strafverfolgungsstatistik eine weiterfuehrende Aussagekraft, erklaerte Boecker.
Ursachenbuendel
Oberstaatsanwalt Manteuffel von der Generalstaatsanwaltschaft Duesseldorf hielt angesichts der Erfahrungen und Ermittlungen seiner Behoerde nichts davon, den nicht unerheblichen Anteil der Kriminalitaet von Migrantinnen und Migranten als "Konstrukt" zu bezeichnen, "allerdings relativiert sich der im Vergleich zum Bevoelkerungsanteil der Auslaender unverhaeltnismaessig hohe Kriminalitaetsanteil dadurch, dass die kriminelles Handeln bestimmenden Faktoren bei den auslaendischen Mitbuergern nicht selten intensiviert und gebuendelt zu verzeichnen sind". Hier zaehlte er auf verstaerktes Auftreten von Straftaten in dem Altersbereich von 20 bis 40 Jahren und hoher Maenneranteil, fehlende und schlechte Schul- und Berufsausbildung, Arbeitslosigkeit, fehlende soziale Integration, ghettoartige Unterbringung, Perspektivlosigkeit, ueberbetonte Konsumorientierung und Werteverfall. Manteuffel sah in den Motiven fuer kriminelles Handeln zwischen Deutschen und seit laengerem in der Bundesrepublik lebenden Auslaendern keine Unterschiede; darum kaemen hier dieselben Massnahmen zur Praevention oder Resozialisierung in Betracht. Die Eingliederungsbemuehungen seien allerdings zu verstaerken, wenn sich mehrere Ursachen buendelten. (Wird fortgesetzt)
Im folgenden der zweite Teil des Hearings, der vor allem den Sprecherinnen und Sprechern der Wissenschaft Gelegenheit zur Stellungnahme geboten hat.
Professor Dr.Reiner Geissler von der Universitaet Gesamthochschule Siegen unternahm den Nachweis, dass es ein "gefaehrliches" Vorurteil sei zu glauben, die hier lebenden Auslaender seien hoeher kriminell belastet als die Deutschen. Er zog zwei Studien heran, die den Nachweis gefuehrt haetten, Arbeitsmigranten seien genauso gesetzestreu wie Deutsche - "und sie sind sogar deutlich gesetzestreuer als Deutsche mit einem aehnlichen Sozialprofil". Das haetten auch Studien in anderen Laendern, etwa in den USA, Australien und Israel ergeben, und auch die Daten im Nachbarland Schweiz wiesen in die gleiche Richtung. Wenn man nun frage, woher diese Gesetzestreue komme, dann sei die Erklaerung, dass sich Auslaender mit strukturellen Benachteiligungen, denen sie im Aufnahmeland ausgesetzt seien, besser arrangierten als Deutsche mit aehnlichen Benachteiligungen. Geissler appellierte an die Politiker, das Vorurteil einer hoeheren Kriminalitaet unter Auslaendern zu erkennen und zu entlarven: "Sie sollten bei jeder passenden Gelegenheit darauf hinweisen, dass die auslaendische Wohnbevoelkerung genauso gesetzestreu ist wie die deutsche und gesetzestreuer als Deutsche mit einem aehnlichen Sozialprofil." Wer eine restriktivere Auslaenderpolitik befuerworte, der solle dies nicht mit dem Kriminalitaetsargument begruenden - sonst gehe die Befuerwortung mit einer Diffamierung ethnischer Minderheiten einher. Der Wissenschaftler woertlich: "Politiker sollten den Begriff 'Auslaenderkriminalitaet' aus ihrem Wortschatz streichen, weil er ebendiese diffamierenden Assoziationen weckt." Die Politik sollte dafuer sorgen, dass die Kriminalitaetsstatistiken differenzierter wuerden.
Seine Kollegin von der Universitaet Gesamthochschule Essen, Professor Dr.Ursula Boss-Nuenning, untersuchte die Frage, ob Jugendliche auslaendischer Herkunft heute krimineller sind als vor 20 Jahren und welche Ursachen das gegebenenfalls habe. So koennte ein Erklaerungsmuster sein, dass der Kulturkonflikt oder die gestoerten Sozialisationsprozesse fuer abweichendes Verhalten von Jugendlichen verantwortlich sind. Ein anderer Grund koennte in der "Marginalisierung" jugendlicher Auslaender liegen: Schlechtere Schulerfolge und -abschluesse, Leben in ethnischen und sozialen Ghettos sowie Ausgrenzung schon im Kindesalter und die Erfahrung von Ablehnung und Diskriminierung. Es gebe Studien, die belegten, dass auslaendische Jugendliche ihre Marginalisierung zur Legitimation ihres kriminellen Verhaltens benutzten. Ein anderer 'Grund' fuer die staerkere Kriminalitaetsbelastung der in Deutschland geborenen oder fast hier aufgewachsenen Jugendlichen liege in einem Wegfall protektiver Faktoren wie familiaere Bildung, ungewisse Zukunftsorientierung und in dem Umstand, dass Jugendliche heute (anders als vor 20 Jahren) nicht mehr bereit seien, Ausgrenzung und Diskriminierung zu akzeptieren. Hinzu komme, dass auslaendische Jugendliche und ihre Eltern - "wenn irgend etwas vorkommt" - in ein Beratungsnichts fielen: Sie seien an fast allen Einrichtungen der Jugendhilfe unterrepraesentiert. Damit fehle ein Hilfssystem, das im Vorfeld abweichendes Verhalten oder Kriminalitaet auffangen koenne.
Carmen Trenz von der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz umriss die Fragwuerdigkeit, die Delinquenzbelastung einer bestimmten Bevoelkerungsgruppe hervorzuheben: Zum einen gebe es keine Datengrundlage, zum anderen rege eine solche Eroerterung die feindselige Stimmung gegen Auslaender an und behindere damit Integration, die Voraussetzung sei fuer wirksame Praevention. Kriminalitaetsfoerdernd seien vor allem Verhaeltnisse, die die soziale Integration junger Menschen erschwerten. Dazu gehoerten die mangelnde Akzeptanz in der Bevoelkerung ebenso wie das nach wie vor erhebliche Bildungsgefaelle zwischen deutschen und auslaendischen Jugendlichen. Auslaendische junge Menschen wollten die gleichen Positionen auf dem Ausbildungs und Arbeitsmarkt wie deutsche Gleichaltrige erreichen; wenn Status- und Konsumziele legal nicht erreicht werden koennen, sei die Verfuehrung gross, dass sie auf illegalem Weg beschafft werden, betonte Trenz und stellte fest: "Praevention gelingt daher in erster Linie durch die soziale Eingliederung der jungen Zuwanderinnen und Zuwanderer in unsere Gesellschaft. Diese Integration ist aber vor allem ein humanitaeres Gebot und dient sozusagen als wuenschenswerter Nebeneffekt auch der Kriminalitaetsvorbeugung."
Einer der Autoren des "Koelner Stadtbuchs Jugendkriminalitaet", Wolfgang Reif, leitete aus den Erfahrungen als Sozialarbeiter im Strafvollzug, der inhaftierte Menschen auf ihre Entlassung vorzubereiten hat, elf Forderungen und Vorschlaege fuer die Reintegration der Gruppe der inhaftierten Auslaender ab. Er wies auf die Schwierigkeit hin, wirksame Hilfen fuer Menschen anzubieten, denen nach der Haftentlassung die sofortige Abschiebung angedroht ist. Viele der langfristigen Hilfsangebote seien zudem an einen legalen Aufenthaltsstatus gekoppelt. Reif appellierte an die zustaendigen Auslaenderbehoerden, ihren Entscheidungen aktuelle Informationen zugrunde zu legen und im bestehenden Ermessensspielraum zu nutzen und sagte: "Wir meinen, dass bei Migrantenkindern eine grosszuegige, gegebenenfalls sogar automatisierte Praxis der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wirksam werden sollte."
Dr.W. Kuehnel vom Institut fuer interdisziplinaere Konflikt- und Gewaltforschung der Universitaet Bielefeld wandte sich in seiner Stellungnahme der Gruppe der Aussiedlerjugendlichen zu. Er berichtete von ersten Ergebnissen eines Untersuchungsprojekts, das mit Unterstuetzung des Landesarbeitsministeriums durchgefuehrt werde. Kuehnel: "Die Sichtbarkeit und das kollektive Auftreten der Jugendlichen duerfte massgeblich dazu beitragen, dass sie als auffaellig, wenn nicht gar kriminell wahrgenommen werden. Sie muessen es gar nicht sein." Auf diese Haltung der Offentlichkeit reagierten die Jugendlichen wiederum, "ob sich daraus delinquentes Verhalten entwickelt, haengt ganz entscheidend davon ab, ob die sozialen Bindungen zwischen Einheimischen und Fremden eher Abgrenzungen verstaerken als abschwaechen." Die erforderliche Interventionsarbeit sollte auf kleinteilige wohngebietsartige Netzwerkstrukturen ausgerichtet werden - "weshalb sollte man nicht sozusagen paedagogische Kraefte von den Aussiedlern in diese Arbeit mitintegrieren und qualifizieren?" Da die Integrationsarbeit vor allem ueber Schule und Beruf laufe, sei an den Schulen eine "Kultur der Integration" hilfreich (die auch von den Lehrern ausgeht, wie Kuehnel anfuegte), wobei auch eine "einheitliche Kultur der Sanktionierung von Verstoessen" aufgestellt werde - dann gelinge Integration erfahrungsgemaess sehr gut.
Dr.Wiebke Steffen vom Landeskriminalamt Bayern stellte die Schwierigkeiten heraus, sich dem Begriff "Auslaenderkriminalitaet" zu naehern - manchen gelte das schon als "geistige Brandstiftung"; aber Nichtwissen loese bekanntlich keine Probleme. Wer dennoch den Begriff verwende, gerate leicht in den Verdacht der Auslaenderfeindlichkeit. Aber diese Erscheinung nicht zur Kenntnis zu nehmen, sie wegzurechnen oder zum Konstrukt zu erklaeren, habe fatale Folgen, urteilte sie: Die Tabuisierung verhindere keineswegs die befuerchtete Diskriminierung von Auslaendern, wohl aber jeden rationalen Diskurs ueber Auslaenderkriminalitaet. Und nur durch einen solchen Diskurs koennten viele "Angstmacherargumente" widerlegt werden und nach Loesungen gesucht werden, denn statistisch registrierte Kriminalitaet sei auch ein Hinweis auf zugrundeliegende Probleme. Wer dies aber negiere, der begebe sich von vornherein der Chance zur Intervention. Die Daten der polizeilichen Kriminalitaetsstatistik eigneten sich nicht zur Diskriminierung von Auslaendern, in der schon "manischen Furcht vor Diskriminierung" werde uebersehen, dass dafuer vielmehr der sorglose oder auch absichtlich falsche Umgang mit den in ihr enthaltenen Daten Diskriminierung schaffe. Damit aber verschloessen sich die in ihr enthaltenen Hinweise auf soziale Defizite und Probleme.
(NRW-)Landtag intern, 3.Februar 1998 und 10.Maerz 1998.
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