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Istanbul

Bildunterschrift: Im Stadtteil Kuzguncuk auf der asiatischen Seite von Istanbul stehen Kirche und Minarett friedlich beieinander.

Vom 4. bis 7.Mai 1998 veranstaltete der Paepstliche Rat der Seelsorge fuer die Migranten und Menschen unterwegs seinen 5.Internationalen Kongress fuer Tourismuspastoral im tuerkischen Izmir und in Ephesus. Der Praesident des Rates, Kardinal Giovanni Cheli, schrieb dazu: Die Tuerkei wurde dazu als Tagungsort wegen ihrer besonderen Bedeutung gewaehlt Sie ist das Land der Kirche, so wie Palaestina als das Land Jesu gilt." Vom 1. bis 3.Mai 1998 besuchten die Kongressteilnehmer aus aller Welt Istanbul, um das dortige Christentum zu erleben. *


Christen in Istanbul

von Rudolf Grulich

Auch 500 Jahre seit der Eroberung durch die Tuerken hat die alte Kaiser- und Sultansstadt noch 150 Kirchen, in denen Christen verschiedener Konfessionen und Nationen das Opfer Christi feiern. Millionen Touristen kommen Jahr fuer Jahr in die Stadt am Bosporus mit ihren heute circa 14 Millionen Einwohnern. Aber sie sehen meist nur die einmalige Lage der Stadt auf zwei Kontinenten, ihren onentalischen Zauber zwischen Orient und Okzident und die vielen praechtigen Moscheen.

Die Christen Istanbuls gehoeren den verschiedensten Glaubensrichtungen an, von den alten orientalischen Gemeinschaften der ersten christlichen Jahrhunderte bis hin zu modernen Sekten und Freikirchen. An erster Stelle steht natuerlich das griechisch-orthodoxe Oekumenische Patriarchat, der Vatikan der Ostkirche, der im Phanar, einem aermlichen Viertel am Goldenen Horn, seinen Sitz hat und wo ueber 20 Bischoefe dem Patriarchen zur Seite stehen. Neben dieser Kurie gibt es im alten Stadtgebiet Istanbul noch ein Erzbistum Konstantinopel mit 37 Gemeinden, in denen in 42 Kirchen die byzantinische Liturgie gefeiert wird, manchmal allerdings nur an den hohen Feiertagen. Ausserdem existieren noch vier griechische Gymnasien, 12 Volksschulen, acht karitative Bruderschaften und 13 kirchliche Vereine. Noch vor wenigen Jahren hatte jede Gemeinde ihre eigene griechische Schule und ihre sozialen Einrichtungen, doch sank infolge von Auswanderung die Glaeubigenzahl stetig.

Die asiatische Seite Istanbuls bildet immer noch ein eigenes griechisch-orthodoxes Bistum, dem ein Metropolit vorsteht. Es traegt den Titel des alten Chalzedon, der Staette des 4.allgemeinen Konzils vom Jahre 451. Sitz des Metropoliten ist Kadikoey. Er verfuegt noch ueber 10 Gemeinden, eine Schule mit 32 Schuelern, eine Bruderschaft und einen Bildungsverein. Eine eigene Metropolie besteht auch auf der europaeischen Seite ausserhalb der alten Mauern der Stadt mit dem Titel von Derkoey und dem Sitz in Yesilkoey, dem alten San Stefano des Friedens von 1878. Dieses Bistum umfasst nur fuenf Gemeinden mit ebenso vielen Kirchen, zu denen zwei griechische Volksschulen gehoeren. Eine dritte Dioezese liegt vor den Toren der Stadt auf den Prinzeninseln mit dem Sitz in Chalki, wo sich auch bis 1971 die Theologische Hochschule befand. Es existieren noch vier Pfarreien mit zwei Schulen und einigen Kloestern.

Wer diese griechischen Kirchen aufsuchen will, tut sich oft schwer, sie zu finden. Kein Reisefuehrer erwaehnt sie, nur einige wenige Kirchen sind auf den Stadtplaenen eingezeichnet. Oft sind sie auch in der islamischen Nachbarschaft kaum bekannt. Aber sie tragen immer noch Kreuze, und die Glocken laeuten. Das gilt auch von den armenischen Kirchen der Stadt. 1995 schaetzte man die Zahl der Armenier in Istanbul noch auf etwa 60.000. Ihr Patriarch residiert im Stadtteil Kumkapi, wo ihn Papst Paul VI. 1967 und Johannes Paul II. 1979 besuchten. Ueber das Stadtgebiet verstreut, auch noerdlich des Goldenen Horns und am Bosporus, gibt es rund 35 armenische gregorianische Gotteshaeuser sowie einige Schulen und karitative Einrichtungen. Dazu kommen 12 Kirchen der katholischen mit Rom unierten Armenier, die in Istanbul einen Erzbischof haben, der im Stadtteil Beyoglu residiert. Bis 1928 war die Stadt auch Sitz des katholischen Patriarchen der Armenier, bis dieser seinen Sitz nach Beirut verlegte. Die Zahl der armenischen Katholiken soll 4.000 betragen, betreut von Weltpriestern und Mechitaristen, einem armenischen Orden nach der Regel des heiligen Benedikt. Von den vier katholischen armenischen Schulen in Istanbul werden zwei von den Mechitaristen gefuehrt, Es gibt ausserdem ein katholisches armenisches Krankenhaus.

Mannigfach sind die Kirchen- und Liturgiesprachen der uebrigen christlichen Kirchen Istanbuls. Der katholische Apostolische Vikar des Lateinischen Ritus verfuegt ueber 12 Pfarreien, die zum Teil Nationalkirchen sind. Die deutschsprachigen Katholiken scharen sich um die oesterreichische Kirche St.Georg, wo auch das St.Georgsblatt als ein Pfarrblatt in deutscher Sprache erscheint, und um die deutsche St.Paulus-Gemeinde.

Die Franzosen haben ihre Kirchen St.Benoit und St.Louis, die Italiener die des heiligen Antonius in Pera, wo die Gottesdienste am Sonntag auch spanisch, englisch, polnisch und tuerkisch gehalten werden. Eine polnische Kirche Unserer Lieben Frau von Tschenstochau gibt es noch in Polonezkoey (Polendorf), einer polnischen Gruendung des 19.Jahrhunderts auf der asiatischen Seite.

An katholischen Orden sind die Dominikaner, Franziskaner, Minoriten, Kapuziner, Assumptionisten, Lazaristen, Salesianer und die Christlichen Schulbrueder neben den bereits erwaehnten Mechitaristen vertreten, unter den Ordensfrauen die Notre-Dame-Schwestern, die Filles de Ia Charité aus Oesterreich und Frankreich sowie italienische und andere Schwesterngemeinschaften. Die katholischen Orden fuehren in Istanbul neun Schulen, vier Krankenhaeuser, ein Altersheim und ein Kinderheim.

Der Papst hat 1979 Istanbul besucht. Beim Ad-limina-Besuch der katholischen Bischoefe der Tuerkei des lateinischen, armenischen, syrischen, byzantinischen und chaldaeischen Ritus 1994 nannte er die Tuerkei ein "wahrhaft heiliges Land der Urkirche"." Er ermunterte "in einem Geist des Friedens, der Toleranz und der Religionsfreiheit, wie ihn das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat", zum Dialog. Diesen Dialog wollen auch viele Tuerken. Das Reisebuero Topkatours in Istanbul hat 1998 eine Aktion zum Dialog gestartet, um Christen Istanbul als Neues Rom und als Wallfahrtsort nahezubringen. Seine gut ausgebildeten Reisefuehrer sind Absolventen des Deutschen Gymnasiums in Istanbul, die auch das Christentum gut kennen. "Wir wollen nicht nur touristische Reisen anbieten, sondern Wallfahrten ermoeglichen"", betonte Ahmet Sezgin, der mit Sarp Aral das Reisebuero leitet.

"Bereits 1996 und 1997 haben wir Gruppen von Theologiestudenten und Lehrern aus Giessen und Hessen auch Besuchs- und Gespraechstermine im Oekumenischen Patriarchat und im Armenischen Patriarchat ermoeglicht. Gruppen mit Priestern koennten im Rahmen unserer Programme heilige Messen oder andere Gottesdienste in Istanbul, Izmir oder Ephesus feiern. Christen des Westens werden so die Vielfalt oestlichen Christentums in griechischen, armenischen, syrischen oder italienischen Kirchen erfahren." Diese Oekumene koenne auch auf das Judentum ausgeweitet werden, sagte Sarp Aral, da es in Istanbul noch 30 Synagogen gaebe. Auch das Gespraech mit dem Islam sei moeglich und notwendig, betrachte doch das 2. Vatikanum "auch die Muslime mit Hochachtung" und ermahne alle, "sich aufrichtig um gegenseitiges Verstaendnis zu bemuehen".

Es liegt auch an den Christen des Westens, wie die Zukunft des Christentums in Istanbul aussehen wird. Millionen von Touristen besuchen vor allem die Badeorte Kleinasiens an der West- und Suedkueste des Landes. Zehntausende von Bildungstouristen reisen auf den Spuren des Voelkerapostels Paulus durch das Innere der Tuerkei. Aber wer interessiert sich fuer die noch existierenden Kirchen Istanbuls?

Prof.Dr.Rudolf Grulich ist Wissenschaftlicher Direktor des Institutes fuer Kirchengeschichte von Boehmen-Maehren-Schlesien in Koenigstein/Taunus und Honororprofessor fuer Kirchengeschichte in Giessen.

* Vom Autor selbst gekuerzte Fassung der im "Osservatore Romano" am 04.September 1998 erschienenen Dokumentation.

Entnommen der Zeitschrift KIRCHE heute, Heft 2/Februar 1999, Seite 18.


Buchbesprechung

Rudolf Grulich, Konstantinopel. Ein Reisefuehrer fuer Christen, Gerhard-Hess-Verlag, Ulm 1998, 285 Seiten, DM 29,80.

Nachdem Reisebueros und Reisefuehrer ueber Istanbul fast ausschliesslich Bauwerke und Ruinen aus byzantinischer und osmanischer Zeit anpreisen, unternimmt der Autor den erfolgreichen Versuch, das christliche Konstantinopel in der 14-Millionen-Stadt, in der heute noch etwa 100.000 Christen (verschiedenster Denomination) leben, neu zu entdecken. Er fuehrt eine erstaunliche Vielfalt an Kirchen und christlichen Staetten vor Augen - griechische, armenische (altorientalische, katholische, protestantische), unierte, katholische (franzosische, italienische, oesterreichische, polnische...), syrische (Chaldaeer, Jakobiten) sowie zahlreiche protestantische Einrichtungen der verschiedensten Richtungen - und versieht diese Angaben mit allem, was eine Kontaktaufnahme ermoeglicht: Adresse, Telephon- und Fax-Nummer. Denn es ist ein Anliegen des Autors, Touristen zu ermuntern, in Konstantinopel nicht nur den Phanar, sondern auch andere christliche Staetten aufzusuchen. Schon allein damit hat der Autor eine verdienstvolle Aufgabe erfuellt.

Aber dieser Katalog bildet nur einen Anhang (Seiten 160-220) des Buches: Rudolf Grulich hat naemlich "tiefgestapelt". Es handelt sich bei diesem "Reisefuehrer" in Wirklichkeit um ein Kompendium der Geschichte des Christentums in Konstantinopel/Istanbul, das es in dieser griffigen Form bisher wohl noch gar nicht gab.

Nach dem griechischen Byzanz gibt der Autor einen Abriss der Geschichte des christlichen Konstantinopels, des "Neuen Roms", der Konzilien, des Bilderstreits, der Kirchenspaltung von 1054, der Kreuzzuege (das Lateinische Kaiserreich 1204-1261), der Belagerung und schliesslich der Eroberung der Stadt durch die Osmanen 1453.

Von besonders hohem Interesse ist die Geschichte der Christen unter den osmanischen Herrschern, ihre Organisation unter dem Patriarchen, die Rolle der christlichen Schutzmaechte und schliesslich das Ende des Osmanenreiches bis zur Vertreibung der Christen waehrend der letzten Jahrzehnte. Durch ausgiebige Zitate aus zeitgenoessischen und anderen Quellen versteht es der Autor, das Lesevergnuegen noch zu vergroessern.

Neben der orthodoxen Kirchengeschichte Konstantinopels (auch eine kurze Einfuehrung in den orthodoxen Gottesdienst fehlt nicht) finden die wichtigsten historischen Fakten aus der armenischen und der roemisch-katholischen Kirchengeschichte - und auch der des Judentums - auf Konstantinopler Boden Beruecksichtigung. Dankbar verzeichnet der Leser die Listen der byzantischen Kaiser, der Patriarchen von Konstantinopel, der Sultane aus dem Hause Osman und der Armenischen Patriarchen.

Dieses Buch ist also viel mehr als ein Reisefuehrer! Es macht die christlichen Spuren Konstantinopels wieder lebendig dem, der den Koffer packt - und dem, der sich ganz schnell und verlaesslich ueber die Geschichte der Christen in Konstantinopel informieren will.

Dr.Gerd Stricker (urspruenglich verfasst fuer: Glaube in der 2.WeLt, Nr 12/1998, Seite 21.). Entnommen der Zeitschrift KIRCHE heute, Heft 2/Februar 1999, Seite 18.


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