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von Horst Graebe in Essen
Als die deutsche Wirtschaft in den sechziger Jahren infolge des Wiederaufbaus in hoher Blüte stand, reichte die Zahl der Arbeitskräfte nicht mehr aus, und es begann die Anwerbung ausländischer „Gastarbeiter“ in den Ländern Süd- und Westeuropas und in der Türkei. Die Anwerbung endete erst im Jahre 1973. Im Jahre 1960 gab es etwa 680 000 Ausländer in Deutschland, im Jahre 1998 waren es 7,3 Millionen. Ein großer Teil von ihnen ist muslimischen Glaubens; allein 2,11 Mio. stammen aus der Türkei. Im Laufe der Jahre kamen viele Muslime auch aus anderen Ländern als Flüchtlinge oder Asylsuchende nach Deutschland.
Die angeworbenen Gastarbeiter mussten eine Gesundheitsprüfung durchlaufen. Da nur junge und gesunde Bewerber genommen wurden, stellte sich das Problem „Muslime im Krankenhaus“ in den ersten Jahren nur in Ausnahmefällen. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass viele der ehemaligen Gastarbeiter nicht, wie man ursprünglich angenommen hatte, nach einigen Jahren wieder in ihre Heimat zurück gingen, sondern in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Ihre Familien waren nachgekommen oder sie hatten hier neue Familien gegründet. Jetzt sind sie im Rentenalter und ihre Kinder und Kindeskinder kennen die Türkei nur noch als schönes Urlaubsland. Vermehrt treten nun natürlich auch Krankheiten auf, die eine Behandlung im Krankenhaus erforderlich machen, und auf die Dauer gewinnen auch die Fragen von Pflege, Tod und Bestattung an Bedeutung.
Als Menschen eines anderen, wesentlich durch die Religion des Islam bestimmten Kulturkreises haben die Muslime teilweise andere Traditionen, Sitten und Gebräuche als die Christen. Sie erkennen andere religiöse Regeln und Gesetze für sich an. Muslimische Traditionen unterscheiden sich zudem noch im Einzelnen je nach dem Herkunftsland der Menschen. Da der bei weitem größte Teil der in Deutschland lebenden Muslime aus der Türkei stammt, sprechen wir im Folgenden in erster Linie über türkische Patienten.
Bis vor wenigen Jahren war der Islam in Deutschland eine fremde und unbekannte Religion. Erst allmählich werden Grundzüge der dritten „Abrahamsreligion“ bekannt. Da das notwendige Hintergrundwissen fehlt, kommt es im Krankenhaus gelegentlich zu Irritationen. Man weiß nicht, warum sich ein Mensch in bestimmter Weise verhält, und man mißdeutet sein Verhalten oder wird ihm nicht gerecht. Eine ängstliche Grundstimmung und das Gefühl, nicht verstanden zu werden, können den Heilungsprozess durchaus negativ beeinflussen. Für Ärzte, Schwestern und alle sonstigen Kontaktpersonen wird der Zugang zum Kranken und der Umgang mit ihm erschwert. Für eine erfolgreiche Behandlung ist aber ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen den Patienten und dem ganzen Haus eine wichtige Voraussetzung.
Darum sind einige grundlegende Informationen über den Islam ebenso wichtig wie Antworten auf spezielle Fragen, die mit einem Krankenhausaufenthalt muslimischer Menschen in Verbindung stehen. Es gibt inzwischen eine Reihe von „Handreichungen“ zum Umgang mit Muslimen im Krankenhaus, die z.B. von kirchlichen Stellen, vom Deutschen Roten Kreuz oder sogar von einzelnen Krankenhäusern herausgegeben oder in Zeitschriften veröffentlicht worden sind. Dabei stellt sich heraus, dass zum Teil sehr unterschiedliche Aussagen oder Vorschläge gemacht werden; selbst widersprüchliche Angaben sind zu finden. Das liegt offenbar daran, dass die Autoren unterschiedliche Quellen benutzt haben. Daher handelt es sich bei den „Handreichungen“ zum Teil um fragwürdige Angeben. Einige scheinen z.B. muslimische oder jüdische Speisevorschriften zu verwechseln.
Im Ausland, aber auch in Deutschland, haben sich verschiedene Kliniken auf muslimische Patienten eingestellt. Darunter ragt besonders das Riverview Hospital in Detroit, USA, heraus, das die Akkreditierung durch den islamischen Gesundheitsdienst (Islamic Health and Human Services) erhalten hat. Das ist für die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses von nicht geringer Bedeutung.
Der Islam ist eine facettenreiche Religion, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgeprägt sein kann, obwohl die Grundlage überall dieselbe ist. Wie im Christentum spielt auch im Islam die Volksfrömmigkeit eine Rolle für den praktizierten Glauben. Da die Menschen türkischer Herkunft den größten Teil der Muslime in Deutschland stellen, beziehen wir uns in dieser Arbeit auf Auskünfte des türkischen Amtes für Religion (DITIB), das in Deutschland über Vertreter in den einzelnen Konsulaten verfügt.
Die Mißverständnisse beginnen schon bei der Anmeldung bzw. Einlieferung der Patienten im Krankenhaus. In vielen Häusern werden sie immer noch als Mohammedaner bezeichnet: Religionszugehörigkeit: moh. liest man auf den Karteikarten. Von vielen Muslimen wird diese Bezeichnung als herabsetzend empfunden. Sie verstehen die Bezeichnung als Hinweis darauf, dass sie angeblich Mohammed anbeteten. Man sollte also die Bezeichnung verwenden, die sie selbst gebrauchen. Islam bedeutet „Hingebung an Gott“; Muslim ist der Angehörige dieser Religion: „der (oder die) Gott Ergebene“.
Die wichtigste Grundlage des Islam ist der Koran, der nach islamischem Verständnis dem Propheten Mohammed durch den Engel Gabriel unmittelbar von Gott geoffenbart wurde. Mohammed lebte im 6./7. Jahrhundert nach Christus.
Der Koran ist ganz anders aufgebaut als die Bibel, und er regelt das gesamte Leben des Menschen, er ist also auch die Grundlage des islamischen Rechts, der Sharia. Eherecht, Vermählung und Scheidung, Erbrecht, Handelsrecht (Zinsen), Kleidungs- und Speisevorschriften (Kopftuch) und viele andere Dinge mehr sind im Koran geregelt. An erster Stelle stehen natürlich religiöse Aussagen. Immer wieder wird betont: Gott ist gnädig und barmherzig. Gott vergibt dem reuigen Sünder. Aber er verlangt unter Androhung strenger Strafen die Einhaltung seiner Gebote.
Der Islam lehrt wie das Christentum den Glauben an einen Jüngsten Tag und ein Weiterleben nach dem Tode, entweder im Paradies (Cennet) oder in der Hölle (Cehennem). Der Mensch soll sich des Todes immer bewusst sein : „Der Tod ist der beste Lehrer“ sagt ein Sprichwort. Der Vorbereitung eines schwer Kranken auf den Tod nimmt in der islamischen Lehre einen großen Raum ein. Zur Begleitung eines Sterbenden und nach dem Tod sind bestimmte Rituale vorgesehen.
Der Islam unterscheidet scharf zwischen dem unmittelbaren Wort Gottes, das im Koran niedergelegt ist, und den Worten des Propheten, die in der so genannten „Sunna“ des Propheten gesammelt sind. Darunter befinden sich Anweisungen an die Gläubigen, aber auch Berichte über das Leben und die Taten Mohammeds, die für die Gläubigen vorbildhaft sind. Die einzelnen Abschnitte der Sunna werden „Hadithen“ (engl. th wie in through), türkisch „Hadis“ genannt. Manche bestehen nur aus einem einzigen Satz.
Wenngleich die Anweisungen der Sunna nicht direkt göttliches Gesetz sind, so haben sie doch für viele Muslime, nämlich die „Sunniten“, eine ebenso bindende Bedeutung. Im Gespräch mit Muslimen wird man immer wieder finden, dass Hadithen zitiert werden, die für das Verhalten in vielen Situationen bestimmend sind.
Im Zusammenhang mit Krankheit ist folgender Hadith von besonderer Bedeutung, da er die Pflicht zum Ausdruck bringt, eine Krankheit behandeln zu lassen und Medizin zu gebrauchen:
„Behandelt eure Krankheiten! Denn Gott hat außer für den Tod für jede Krankheit ein Heilmittel, eine Medizin geschaffen. Unser Prophet benutzte drei Arten der Medizin: Er las den Koran oder sprach Bittgebete. Auch gebrauchte er von der Wissenschaft gefundene Medizin, und zwar wandte er alle drei vermischt an. Ein Hadith sagt: „Wer vom Koran keine Heilung erwartet, der wird keine Heilung finden“(Fussnote 1). Es ist also Sünnet (dringender Rat, praktisch Verpflichtung), sich vom Arzt behandeln zu lassen und Medizin einzunehmen.
Im vergangenen Jahr erregte der Fall eines in Deutschland lebenden muslimischen Elternpaares großes Aufsehen, das die Behandlung eines lebensgefährlich erkrankten Kindes aus religiösen Gründen ablehnte und, um die Behandlung zu verhindern, mit dem Kind ins Ausland floh. Diese Eltern gehörten einer extremen islamischen Sekte an; ihr Verhalten ist vom eigentlichen Islam nicht gedeckt.
Der Koran kennt keinen Katalog der Gebote entsprechend den 10 Geboten des Alten Testaments. Die Hauptgebote nennt man „die fünf Säulen des Islam“:
Einem Moslem sollte im Krankenhaus Gelegenheit gegeben werden, seinen religiösen Verpflichtungen nachzukommen, wobei nur bei den Gebeten und dem Fasten besondere Maßnahmen erforderlich sind.
Alle übrigen Gebote finden sich über den ganzen Koran verteilt, wobei die islamische Ethik weitgehend mit der christlichen übereinstimmt.
Gebet für Kranke:
Gib diesem Kranken Gesundheit, o Herr der Menschheit! Die Gesundheit liegt in deiner mächtigen Hand. Niemand außer dir kann die Krankheit vertreiben. Du bist es, der die Krankheit vertreibt und Gesundheit schenkt.
Eine Besonderheit, die sich im Christentum nicht findet, sind die Speisegesetze und gewisse Bekleidungsregeln. Schweinefleisch, Blut und Alkohol sind absolut verboten (Fussnote 2). Dazu gehören auch alle Produkte, die irgendwie vom Schwein herkommen, vor allem Fett, aber z.B. auch Gelatine. Viele Schwierigkeiten mit Muslimen rühren daher, dass diese Regeln aus Unwissenheit nicht beachtet werden. Die Küche teilt z.B. mit, dass sich in einer bestimmten Speise kein Schweinefleisch befindet, doch sie hat vielleicht für die Zubereitung Schmalz verwendet. Das ist für einen Moslem untragbar. Völlig inakzeptabel ist es, wenn sich bei einer als frei von Schweinebestandteilen deklarierten Mahlzeit später herausstellt, dass doch etwas vom Schwein darin enthalten war. Durch die lange Tradition und die Erziehung haben Muslime einen Ekel gegen Schweinefleisch entwickelt, und sie reagieren darauf, wie es etwa Europäern geschehen würde, wenn sie in einem ostasiatischen Land Fleisch von Hunden oder gar Ratten vorgesetzt bekämen (was in bestimmten Ländern als Delikatesse gilt).
Da der Koran Gottes unmittelbares Wort ist, kann es über das Verbot von Schweinefleisch keine Diskussion geben. Gott hat es auch nicht nötig, seine Gebote zu begründen; daher sind alle Überlegungen müßig, warum Schweinefleisch verboten ist. In einem türkischen Katechismus heißt es: „Gott ist der Schöpfer aller Dinge und darum gehört ihm alles. Die Dinge, die er den Menschen zu gebrauchen erlaubt hat, nennen wir „helal“, was er verboten hat, ist „haram“. Manches kann dem einen helal (erlaubt), dem anderen haram (verboten) sein (Fussnote 3).“
Manche Muslime, vor allem solche aus arabischen Ländern, lehnen alles Fleisch (auch Nicht-Schweinefleisch) ab, wenn es nicht „helal“, d.h. nicht nach muslimischen Regeln geschlachtet ist. Grundsätzlich muss das Tier mit einem Segensspruch (bismillah) geschächtet werden. Viele Muslime wissen jedoch nicht, dass das Fleisch von Tieren, die von Christen oder Juden geschlachtet sind, auch helal ist. Christen und Juden werden „Gemeinde des Buches“ genannt. Ihnen ist auch ein Buch geoffenbart worden, den Juden die Thora, den Christen das Evangelium. Das Fleisch von Tieren, die von Angehörigen der Buchgemeinde geschlachtet worden sind, darf man essen (Fussnote 4). Um allen Zweifeln aus dem Weg zu gehen, hat das Riverview Hospital in Detroit Verträge mit muslimischen Großhändlern geschlossen, auf die es ihre Patienten hinweist. Dieses Krankenhaus hat sogar eigenes Geschirr angeschafft, das nur für Muslime gebraucht wird. Nach Auskunft von Ditib ist dies übertrieben und keineswegs erforderlich. Es erinnert auch mehr an die koschere Essenszubereitung für Juden.
Es gibt noch weitere Speisegesetze, die aber für Krankenhäuser nicht relevant sind, da sie in Deutschland eigentlich immer erfüllt sind. So muss das geschlachtete Tier z.B. völlig ausgeblutet sein; das Fleisch von erstickten Tieren darf nicht gegessen werden. Zu beachten ist jedoch, dass keine aus Blut hergestellten Speisen gegessen werden dürfen (Blutwurst),
Ein anderes strenges Speisegesetz ist das absolute Alkoholverbot. Alkohol darf in keiner Form getrunken werden und auch in Speisen nicht enthalten sein. Eine mit Rotwein abgeschmeckte Sauce, Weincrème als Nachtisch, mit Likör gefüllte Pralinen sind nicht erlaubt.
Der Islam kennt aber auch immer Ausnahmen, wenn etwa das Leben oder auch nur die Gesundheit eines Menschen bedroht ist. Ein Religionsbeauftragter von Ditib macht das an folgendem Beispiel klar: Wenn etwa ein Mensch in der Wüste außer etwas Wein nichts mehr zu trinken vorfindet, darf er ihn trinken, wenn er sonst verdursten würde. Viele Medikamente enthalten Alkohol. In diesem Fall soll man zunächst prüfen, ob es nicht vergleichbare Mittel ohne Alkohol gibt; wenn nicht, darf der Muslim die Medizin anwenden.
Manche muslimische Frauen tragen ein Kopftuch, manche darüber hinaus einen bis zu den Knöcheln reichenden Mantel. Frauen aus arabischen Ländern verschleiern ihr Gesicht. Das beruht auf einem Koranvers, der unterschiedlich ausgelegt wird, und weitgehend auf Tradition. Selbst wenn das Kopftuch nach der Aussage verschiedener Koraninterpreten nicht unbedingt verpflichtend ist, sollte man eine Frau nicht veranlassen, es abzulegen, außer wenn es bei Behandlung oder Untersuchung hinderlich ist. Der Koran sagt (zum Propheten): „Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Augen niederschlagen und sie sollen darauf achten, dass ihre Scham bedeckt ist, den Schmuck, den sie am Körper tragen, nicht offen zeigen ...“ (Fussnote 5) Die Frage ist nun: Rechnet das Haupthaar mit zu dem erwähnten Schmuck oder nicht? Moderne türkische Koraninterpreten überlassen die Entscheidung den Frauen. Sie vertreten die Meinung, es sei schön, wenn die Frau das Kopftuch trägt, aber es sei nicht verpflichtend „Es ist weder rückständig,den Kopf zu bedecken, noch areligiös, offen (d.h. ohne Kopftuch) zu gehen“.(Fussnote 6) In verbreiteten Koranübersetzungen heißt es jedoch: „Sie sollen ihren Hals bedecken, indem sie das Kopftuch bis auf die Schultern herab ziehen“ (Fussnote 7)
Im Zusammenhang mit den Kleidungsregeln sei darauf hingewiesen, dass das Schamgefühl bei muslimischen Frauen besonders stark ausgeprägt ist. Wenn sich eine an das Kopftuch gewöhnte Frau ohne dieses vor einem fremden Mann schon nahezu nackt fühlt, um wieviel mehr, wenn sie sich weiter entkleiden muss. Man sollte das Ablegen der Kleidung also immer auf das für Untersuchung und Behandlung unbedingt erforderlich Minimum begrenzen.
Für viele Muslime ist es eine wesentliche Hilfe, wenn die Behandlung immer durch eine gleichgeschlechtliche Person geschieht. Das Riverside Hospital hat dies zur obersten Regel gemacht. Ditib erklärte die Behandlung durch gleichgeschlechtliche Personen jedoch nicht als zwingend erforderlich. Bei der Pflege, besonders wenn es um Waschungen schwer Kranker im Intimbereich geht, sollte allerdings schon darauf Wert gelegt werden. Doch das dürfte ohnehin gängige Praxis in deutschen Krankenhäusern sein.
Der gläubige Muslim verrichtet 5 Mal am Tage sein Pflichtgebet (namaz), am frühen Morgen, am Mittag, am Nachmittag, am Abend und zur Nacht. Die Zeiten sind genau festgelegt und in einem Kalender verzeichnet, den es in jedem Haushalt gibt. Sie richten sich nach dem Lauf der Sonne und dem jeweiligen Ort auf der Erde. Daneben gibt es wie im Christentum freiwillige Gebete (dua) in allen Lebenslagen; in allen Anliegen kann man sich in seinen Gebeten an Gott wenden.
Der gesunde Mensch verrichtet das Pflichtgebet mit Körper und Geist. Man beginnt in einer stehenden Haltung und wirft sich dann vor Gott nieder, bis die Stirn den Boden berührt. Der Ort des Gebets muss absolut sauber und ruhig sein, es darf keinerlei Störung erfolgen. Es ist wünschenswert, aber nicht verpflichtend, das Gebet in der Moschee zu verrichten; Männer sind verpflichtet, am Freitag Mittag in der Moschee zu beten. Für Kranke, die nicht bettlägerig sind, ist es wünschenswert, wenn ein kleiner, abgeschlossener Raum mit einem Teppich für das Gebet zur Verfügung steht. Außerdem muss die Richtung nach Mekka festgestellt werden, da sich der Mensch im Gebet immer dorthin richtet (in Deutschland ungefähr Südosten).
Dem Gebet gehen rituelle Waschungen unter fließendem Wasser voraus. Diese können in der Naßzelle des Krankenzimmers erfolgen oder aber in einem gesonderten Waschraum.
Bettlägerige Kranke können das Gebet ohne die körperlichen Bewegungen verrichten, auch liegend. Während des Gebets müssen sie aber ungestört bleiben (keine Besucher, keine Pflege!). Die Waschungen können im Bett vollzogen werden, wobei eine dem Islam mit Verständnis und Achtung gegenüber tretende Person helfen sollte. Es ist wichtig, dass alle Waschungen unter fließendem Wasser erfolgen, soweit dies irgend möglich ist. Im Bett kann man etwa aus einer Kanne Wasser über die zu reinigenden Körperteile gießen und es in einer Schale auffangen. Ist das alles nicht möglich, so bleibt als letzter Ausweg die symbolische Waschung. Hz. Mohammed (a.s.) hat auch schon Sonderregelungen getroffen, z.B. für Reisende durch eine wasserlose Wüste.
Auch Christen kennen das Fasten als eine heilsame Übung. Von Jesus wird berichtet, dass er 40 Tage lang in der Wüste fastete. In der katholischen Kirche bestand bis vor wenigen Jahren die Pflicht zum Fasten vom Aschermittwoch bis zum Karsamstag, d.h. 40 Tage (ohne die Sonntage).
Im Islam hat das Fasten eine viel tiefere Bedeutung, es ist eine der Säulen des Islam. Darum wird es auch von ca. 80% der Gläubigen eingehalten. Selbst viele Muslime, die sonst in einer eher losen Bindung zum Islam stehen, halten das Fasten ein.
Der Fastenmonat ist der Monat Ramadan, das ist der Monat, an dessen 27. Tag die Offenbarung des Koran begann. Das Fasten dient dazu, sich wieder ganz auf Gott zu besinnen. Darum wird es begleitet von vielen religiösen Veranstaltungen und besonderen Gottesdiensten, z.B. wird in manchen Moscheen ganztägig der Koran gelesen. Zusätzlich zu den 5 Pflichtgebeten gibt es am Abend ein sechstes, sehr langes Gebet (Teravi namaz#), dem eine besondere Segenskraft zugeschrieben wird. Im Ramadan sind die Moscheen jeden Tag bis auf den letzten Platz gefüllt.
Gefastet wird täglich vom ersten Morgengrauen bis zum Abend (die Zeiten sind im Kalender genau festgelegt). In dieser Zeit darf von außen nichts in den Körper eindringen, d.h. man darf weder essen noch trinken noch rauchen. Auch eine Injektion würde das Fasten brechen. Salben und Tropfen, von denen Bestandteile in den Körper eindringen, brechen das Fasten. Oft wird die Frage gestellt, ob eine Frau während des Ramadan Parfüm oder Kosmetika gebrauchen darf. Die Antwort der Rechtslehrer ist nicht einheitlich. Die meisten erlauben es, andere lehnen es ab, wenn es möglich ist, dass Bestandteile durch die Haut in den Körper eindringen.
Im Krankenhaus entsteht natürlich die Frage, wie es sich mit der Medizin verhält. Eine wichtige islamische Regel lautet: Der Mensch darf nichts tun, was ihm schadet. Wenn eine regelmäßige Einnahme einer Medizin auch am Tage erforderlich ist, muss sie genommen werden. Schwangeren ist das Fasten sogar verboten, wenn es ihrer Gesundheit oder der des Kindes schadet. Auch Kranke dürfen unter Umständen nicht fasten, wenn es ihnen schaden würde. In diesen Fällen gibt es die Möglichkeit, das Fasten nach Abschluß des Ramadan nachzuholen. Wer beispielsweise nur einmal an einem Tage des Ramadan eine Spritze bekommen hat oder eine Medizin einnehmen musste, kann diesen Fastentag später nachholen, so dass er genau auf die vorgeschriebene Zahl der Tage kommt.
Für Muslime ist es eine tiefe religiöse Pflicht, Kranke zu besuchen. Christen kennen die Schriftstelle, nach der Gott im Gericht zu den Gerechten sagt: „Ich war krank und ihr habt mich besucht“ und zu den Ungerechten: „Ich war krank und ihr habt mich nicht besucht“ (Fussnote 8). Es gibt ein Hadith mit ganz ähnlichem Inhalt. Deshalb kommen oft Besucher in großer Zahl zu einem Kranken, was manchmal sogar zu Problemen führen kann, wenn etwa in einem Zimmer der Platz nicht ausreicht.
Der türkische Katechismus kennt für die Besucher eine kluge Regelung: „Die Besucher sollen nicht zu viel und zu lange bei dem Kranken sitzen. Auch wenn es geliebte Menschen sind, sollen sie schnell wieder aufstehen. Wenn der Kranke darum bittet, sollen sie noch ein wenig sitzen bleiben, dann aber versuchen, aufzustehen; wenn er nicht erneut darum bittet, sollen sie gehen.“ (Fussnote 9)
Besonders für Schwerkranke wird gesagt: „Es ist nicht richtig, einen Schwerkranken allein zu lassen. Auch wenn es der Kranke nicht wünscht, sollen fromme Menschen kommen und so lange bleiben, wie man die Sure Ihlas liest. Der Doktor soll den Kranken nicht einsam machen, indem er sagt, er wolle niemanden sehen oder sprechen. Rechtschaffene sollen zu ihm gehen und die Sure Yasin lesen. Es ist auch von Nutzen, sie still zu beten“.(Fussnote 10) - Zur Erläuterung: Die Sure Ihlas (der unerschütterliche Glaube) ist die drittletzte, eine ganz kurze Sure in hochpoetischer Sprache, die jeder Muslim auswendig kennt:
Er ist Gott, der einzige,
Gott, durch und durch er selbst,
der, an den man sich in allen Nöten und Sorgen wendet.
Er hat nicht gezeugt
und er ist nicht gezeugt worden
und keiner ist ihm ebenbürtig
Auch die Sure 67 (Mülk Sûresi) ist geeignet, die vom Herrn über Leben und Tod spricht und zum Glauben mahnt. Ihr Anfang lautet:
Voller Segen ist er,
in dessen Hand die Herrschaft über die ganze Welt liegt.
Er hat zu allem die Macht,
er, der den Tod und das Leben geschaffen hat,
um euch Menschen auf die Probe zu stellen
und zu sehen, wer von euch am besten handelt.
Er ist es, der mächtig ist und bereit zu vergeben. (Fussnote 11)
Die Sure Ya Sin ist die Sure Nr. 36. In ihr ist davon die Rede, wie die Menschen in einer Stadt mit den Gesandten Gottes umgehen und wie ihnen Strafe für ihren Unglauben angedroht wird. Es wird berichtet, wie Gott alles geschaffen hat, Gärten mit Palmen und Weinstöcken, sprudelnde Quellen, die Sonne, den Mond und alle Gestirne und vieles Andere. Doch Gott fragt: „Können sie (die Menschen) denn nicht dankbar sein?“ Dann wird von der Auferstehung der Toten und von dem letzten Gericht gesprochen, die Herrlichkeit des Paradieses und die Schrecken der Hölle werden beschrieben. Aber Gott ist gnädig und barmherzig, wie im Koran immer wieder betont wird, und darum soll die Lesung dieser Sure ein Trost für den Kranken sein.
Diese Bemerkungen beziehen sich natürlich auf gläubige, praktizierende Muslime. Nicht jeder Türke oder Libanese ist ein praktizierender Muslim. In welchem Verhältnis ein Kranker zu seiner Religion steht, wissen die Angehörigen am besten. Ihr Verhalten versteht man aber sicher besser, wenn man etwas von den Traditionen und den religiösen Regeln kennt, die ihm zu Grunde liegen.
Der Katechismus gibt auch kluge und recht praktische, gar nicht an die Religion gebundene Verhaltensregeln an, die in jedem Falle bedenkenswert sind: „Bei einem Kranken soll man keine neugierigen Fragen stellen, die die Krankheit verstärken könnten; kein Wort soll über Zeitungen, Geschichten, Vermögen, Wirtschaft, Politik oder die Regierung fallen“.(Fussnote 12)
Dass bei einer Geburt nach Möglichkeit nur Frauen anwesend sein sollten, versteht sich eigentlich von selbst und ist in Deutschland auch meistens so üblich. Wenn keine Ärztin zur Verfügung steht, kann aber auch ohne weiteres ein Arzt beteiligt sein. Der Islam ist keine Kirche und kein Verein, es gibt also auch keine Aufnahme, etwa der Taufe entsprechend. Vielmehr wird jeder Mensch als Muslim geboren. Dem neu geborenen Jungen wird von einem Mann, dem Mädchen von einer Frau der Ruf (Ezan) ins Ohr gesprochen, mit dem der Muezzin die Gläubigen zum Gebet ruft, z.B. in folgender Form:
„Gott ist größer. Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Gott. Er hat keinen Partner. Muhammed ist sein Diener und sein Prophet. Als Herrn erkenne ich Allah an, als Propheten Muhammed, als Religion den Islam. Gott ist größer“.
Die wichtigste Regel bei einem Sterbenden ist, ihn nie allein zu lassen und ihm immer wieder zu trinken zu geben. Weiter gilt das oben für schwer Kranke Gesagte. Nach Möglichkeit soll der Sterbende so gebettet werden, dass das Gesicht nach Mekka hin gerichtet ist. Nach dem Tode sind rituelle Waschungen auszuführen, die bei einem Mann von Männern, bei einer Frau von Frauen ausgeführt werden. Es ist ratsam, in einem Todesfall einen Imam hinzuzuziehen.
Horst Graebe
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